Lange Zeit durften Frauen weder politisch entscheiden, noch öffentlich mitreden. Vor rund 300 Jahren hatten bürgerliche Frauen dann die Idee, Gelehrte einfach zu sich nach Hause einzuladen. In den so genannten Salons, ihren Wohnzimmern, wurde angeregt diskutiert, debattiert - und sich emanzipiert. Autorin: Susanne Brandl (BR 2025)
Credits
Autorin dieser Folge: Susanne Brandl
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Christian Baumann
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Katharina Hübel
Im Interview:
Dr. Petra Dollinger, freie Historikerin, spezialisiert auf die Zeit der Salons, ehem. Ludwig-Maximilians-Universität München
Prof. Astrid Dröse, Literaturwissenschaftlerin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Dr. Kersten Knipp, Sachbuchautor „Die Erfindung der Eleganz: Europa im 17. Jahrhundert und die Kunst des geselligen Lebens“
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Im neuen SWR3-Podcast treffen jeden Monat zwei verschiedene Promis aufeinander. Die Promis lernen sich erst im Podcast persönlich kennen, müssen einen Monat lang gemeinsam podcasten, labern, diskutieren, spielen und verschiedene Rubriken und Aufgaben meistern. HIER
Linktipps:
Die Münchner Salons: Literatur, Musik, Theater – kurz, die Künste werden erst lebendig, wenn man sie teilt. Genau das geschah im 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das inspirierende Gespräch stand im Mittelpunkt dieser Kreise; wichtig waren auch die Besonderheit der Orte und Rituale. HIER
Kulturgeschichte des Absinths und die Macht des Rausches in den Salons: Das grüne Gebräu aus Kräutern und Alkohol war zunächst das Getränk der Armen. Während der Belle Epoque wurde es jedoch rasend schnell zu Kult und eroberte auch die vornehmen Kreise. HIER
Literatur :
Kersten Knipp: die Erfindung der Eleganz, Philipp Reclam Verlag, 2022
Christiana Mariana von Ziegler: Moralische und vermischte Sendschreiben, hrsg. von Astrid Dröse, Secession-Verlag 2019
Benedetta Craveri: The age of conversation, New York Review Books, 2006
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER:
Blau muss er sein, ihr literarischer Salon. Blaue Möbel, blaue Wände und ein blauer Himmel an der Decke. Die Marquise de Rambouillet [sprich: dö Rombujee] hat klare Vorstellungen. Um 1620 schafft sie einen Raum, der als chambre bleue [sprich: schambr blö]- als blaues Zimmer - in die Geschichte eingeht.
O-TON 1 DOLLINGER
„Im Hotel Rambouillet hat sie es sich richtig gemütlich und schön gemacht, sie hat dieses Chambre bleu eingerichtet, was damals was Besonderes war. Üblich war es damals, Zimmer in rotem und braunem Holz und mit roter Samtbespannung einzurichten.
SPRECHER:
Die Historikerin Petra Dollinger. Sie forscht seit Jahrzehnten zur Geschichte der literarischen Salonkultur. Auf dem Gebiet der Anfänge der Konversationsgeselligkeit ist sie eine der wenigen Expertinnen. Eine Schlüsselfigur damals: Die Autorin Madeleine de Scudery. Sie war im Salon de Rambouillet zu Gast und webt diese Erfahrung ein in ihren bedeutenden Roman „Artamenes oder der Grosse Cyrus“ [sprich: Artamenes… Zirus] von 1656:
MUSIK: / Z8028007104 Max Richter: Spring 1 (recomposed Vivaldi)
ZITATORIN:
Alles ist großartig, ja einzigartig! (…) Die Zimmer der Rambouillet sind gefüllt mit tausend Raritäten und jede einzelne zeugt von ihrem Geschmack. Immer duftet es dort, große und kleine Gefäße voll mit Blumen sorgen dafür, dass immer Frühling zu sein scheint. Und der Ort ist so angenehm und so phantasievoll gestaltet, dass man sich fühlt, als sei man in einem Zauberreich.“
SPRECHER:
Sie schafft einen eigenen kreativen Kosmos. Eine harmonische Gegenwelt zur höfischen Galanterie. 1835 blickt Pierre-Louis Roederer, der unter anderem Berater Napoleon Bonapartes war, in seinen Memoiren auf die Geschichte Frankreichs. Darin schreibt er dem Salon der Rambouillet eine besondere Bedeutung zu:
ZITATOR:
„Der Salon der Marquise und der Hof waren zwei verschiedene Welten. Politik und Intrigen wurden im Hotel de Rambouillet [sprich: otel dö Rombujee] an der Tür abgegeben. Umso intriganter und korrupter der Hof war, umso (…) blühender gedeihte die Rambouillet-Geselligkeit.
SPRECHER:
Über mehrere Jahrzehnte ist das Palais der Marquise Mittelpunkt des intellektuellen Leben Frankreichs. Und nicht nur das: Hier sprechen Männer und Frauen auf Augenhöhe. Hier unterhält sich Adel mit Bürgertum. Es entsteht eine neue Gesprächskultur. Hier ist Raum für Emanzipation. All das ist ungewöhnlich, fortschrittlich, neu.
MUSIK: Max Richter Spring 3 (recomposed Vivaldi)
SPRECHER:
Der eigentliche Name der Marquise de Rambouillet ist Catherine de Vivonne [sprich: katriin dö Wiwonn]. Leider hat sie selbst kaum Schriftliches hinterlassen – und es gibt auch nicht viele historische Quellen über sie. Was man aber definitiv weiß: Sie kommt aus gutem Hause. Ihre Mutter Giulia Savelli entstammt einem italienischen Adelsgeschlecht, das auch Päpste hervorgebracht hat und ist mit den Medici verwandt. Als ihr Vater Jean de Vivonne als französischer Botschafter in Rom arbeitet, lernt er Giulia kennen. Aus der Heirat geht Catherine hervor. Sie wird 1588 geboren. Mit sieben Jahren kommt sie nach Paris. Die Eltern vermitteln ihr jede Menge italienischen Humanismus und den Geist der italienischen Renaissance. In Italien hat es sich damals zunehmend durchgesetzt, Bildung auch Frauen zugänglich zu machen. Es geht um die Kultivierung des Intellekts.
O-TON 4 DOLLINGER:
„Da haben wir - zumindest für die oberen Schichten - haben wir Frauen, die wirklich eine Geselligkeit geführt haben, wo also einmal Gelehrte und Schriftsteller kamen und die sich da unterhielten, und zugleich war es aber auch eine Schule der guten Sitten, und die Lebenskunst wurde auch gepflegt und es war überhaupt ein Umschwung hin zum Weltlichen.“
SPRECHER:
Schon im Elternhaus hört Catherine aufmerksam zu, wenn Gäste zum kultivierten Miteinander vorbeikommen. Offenbar reizt sie der Gedanke, selbst Salonnière [sprich: Salonjer] zu werden, aber bevor sie ihre Ambitionen verwirklichen kann, ereilt sie das typisch weibliche Schicksal ihrer Zeit. Sie wird mit 12 Jahren an den zukünftigen Marquis de Rambouillet verheiratet. Mit 18 bekommt sie ihre erste Tochter Julie [sprich: schüli]. Sechs weitere Kinder folgen. Doch ihre beiden Söhne verliert sie durch Kriege und Seuchen. Nichtsdestotrotz bleibt sie eine lebenslustige, neugierige Frau. Sie will Leute kennenlernen. Aber nicht unbedingt die Adeligen am Hof, sondern vor allem Menschen einer sich gerade neuformierenden Schicht.
O-TON Kersten KNIPP
„Es waren ja die neuen, modernen Berufe, Ärzte, Juristen, Verwaltungsbeamte, Ingenieure, die sich damals bildeten - in Abgrenzung zum Hof, und das lief auf kultureller, stilistischer Ebene, weil man eben einen Stil für sich, für das entstehende Bürgertum gerade erst im Begriff war, zu formulieren, indem sich die wichtigen Vertreter dieser gerade sich konstituierenden Schicht miteinander trafen und ins Gespräch kamen.“
SPRECHER:
Kersten Knipp hat sich als Sachbuchautor eingehend mit der kultivierten Geselligkeit im 17. Jahrhundert auseinandergesetzt. Catherine sieht ihre Stunde gekommen. Als Marquise de Rambouillet hat sie ein eigenes Stadtpalais mit den entsprechenden Räumlichkeiten und ihr Mann lässt sie machen. Sie will den Zeitgeist mitgestalten und ist damit Vertreterin eines frühen Aufklärungsfeminismus, der noch nicht kämpferisch ist, aber entschieden. Zunehmend haben Frauen eine Haltung.
O-TON DOLLINGER:
„Sie hatten den Anspruch an sich selbst, zu lernen, sich zu bilden, fortzubilden, klüger zu werden, sie wollten das aus eigener Kraft schaffen.“
SPRECHER:
Ihr Herrschaftsbereich ist das Haus und somit kann Catherine de Vivonne die Gelehrten einfach zu sich einladen. Bald wird der Salon der Rambouillet zum Anziehungspunkt einer illustren Gästeschar, es kommen Bürger und Bürgerinnen unterschiedlicher Stände, Dichter, Schriftstellerinnen, Intellektuelle. Weil sie sich oft kränklich fühlt, zieht sie es vor, auf einem Canapee zu liegen, wenn sie ihre Gäste empfängt.
ZITATORIN:
„Ich sah sie in einer Nische, wohin keine Sonnenstrahlen drangen, aber es war dennoch nicht ganz dunkel. Um sie herum hingen lauter Porträts von Leuten, die sie mochte. Da stapelten sich außerdem viele Bücher auf kleinen Tischen. Gewiß keine gewöhnlichen Bücher. Nur zwei oder drei Leute durften jeweils gleichzeitig eintreten, weil sie kein Durcheinander mochte.“
SPRECHER:
… schreibt die spätere Königin von Sizilien und Sardinien Anne Marie d’Orleans 1659 in ihrer Geschichte über die Prinzessin von Paphlagonien. Wann genau sich der Rambouillet-Salon formiert, ist nicht eindeutig überliefert. Um 1613 sollen die ersten Gäste zu ihr gekommen sein, berichtet der französische Schriftsteller Francois de Malherbe, der auch bei der Marquise zu Gast war.
O-TON KNIPP
„Ich glaube, es ist im Wesentlichen eine intellektuelle oder auch ästhetische Freude gewesen, die sie getrieben hat, diesen Salon zu betreiben, eben den Austausch zu pflegen, was Neues zu hören, sich selbst auch zu äußern, ja sich der Welt zu öffnen, sich den Menschen zu öffnen und so im Grunde die eigene Person auch zu erweitern.“
O-TON DOLLINGER:
„Entwicklungen in der Wissenschaft, in der Kunst, in der Literatur, aber auch Tagesereignisse spielten natürlich auch eine ganz große Rolle, und man sprach nicht nur über die letzte Neuerscheinung, sondern man sprach natürlich auch über irgendwelche interessanten Gerichtsprozesse, die im Moment gerade liefen.“
O-TON 8 KNIPP:
Jeder sollte sich beteiligen können, jederzeit in das Gespräch, seine eigenen Standpunkte einwerfen können … und dann führte das wieder zu neuen Gedanken. Also diese Vorstellung des unentwegt sich fortpflanzenden Gedankens, der im Grunde nie an ein Ende kommt, ja wo eins das Andere ergibt, das war das Ideal dieser Zeit.
ZITATOR:
„Sie sprechen nicht wie Fachleute, aber sie sprechen vernünftig und es gibt keinen Platz in der Welt, wo es mehr Gefühl und Gespür gibt und weniger Pedanterie als im Hotel de Rambouillet.“
SPRECHER:
So der Salongast und französische Schriftsteller Jean Chapelain, der die Académie francaise mitbegründete, 1638 in einem Brief. Darin klingt ein Ton an, der sich vom absolutistischen Duktus distanziert. Zunehmend setzt sich in der Zeit eine Haltung durch, die grundlegend wird für aufklärerisches Gedankengut.
O-TON 9 DOLLINGER:
„Dass der wahre Adel sich nicht über Geburt und Stand definiert, sondern dass die Menschen sich über ihre Verdienste, über ihre Bildung, über ihren Charakter, über Geist und Herz sozusagen definieren. Und diese Gedanken, die sind natürlich dann im Zeitalter der Aufklärung noch mal wieder aufgegriffen worden und verstärkt gesagt worden, also Gedanken von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, wie später in der französischen Revolution.“
SPRECHER:
Für damalige Verhältnisse klingt das wie gelebte Utopie. Und das ist es ein Stück weit auch.
MUSIK Max Richter: Spring 1 (recomposed Vivaldi)
O-TON DOLLINGER:
„Wichtig war, dass man das Gespräch mit Witz und Geist führte, man wollte locker und offen und frei über etwas sprechen, und das ist vielleicht überhaupt jetzt das Stichwort: die Geistesfreiheit - sowohl im Renaissance-Humanismus als auch in den Salons des 17. Jahrhunderts als auch in der Aufklärung. Die Geistesfreiheit ist das gewesen, was die Salons vielleicht auch so wichtig gemacht hat, weil hinter den verschlossenen Türen eines Salons konnte man sich vieles sagen trauen, was man sich vielleicht nicht trauen würde, in der Öffentlichkeit zu sagen, geschweige denn in der Zeitung zu drucken.“
SPRECHER:
Dieses experimentelle und geschützte Forum des Salons macht außerdem möglich, was die Marquise besonders liebt: Schabernack. Catherine hat einen ausgeprägten Sinn für Humor. Es sollen durchaus derbe Scherze gewesen sein, mit denen die Marquise den ein oder anderen Gast gehörig auf die Schippe nahm.
O-TON DOLLINGER:
„dass man also irgendwelchen Freunden, also zum Beispiel die Kleider enger machte, dass sie meinten, sie wären dicker geworden und solche Sachen.“
MUSIK Max Richter: Autumn 3 (recomposed Vivaldi)
SPRECHER:
Das Amusement in geselliger Runde, das ist es, was die damaligen Gäste anzieht. Nicht zu vergessen: Ohne Einladung ging gar nichts. Catherine wählte aus, wen sie zum Freund ihres Hauses machte, wer wiederkommen durfte, wer nicht. War man eine Frau, hatte man fast bessere Karten.
O-Ton DOLLINGER:
„Da hob sich auch Madame de Rambouillet sehr von anderen Salons hervor. Es hat auch Salons gegeben, wo fast nur Männer verkehrten, das war im Hotel del Rambouillet anders, da verkehrten auch viele Frauen und die durften ihre Töchter mitbringen. Die hörten und sahen da, was sie in Ihrer Klosterschule nie im Leben gelernt hätten.“
MUSIK: Max Richter Summer 2
SPRECHER:
1665 stirbt die Marquise und damit ihr Salon. Kaum eine Geselligkeit bestand über so lange Zeit hinweg. Fast ein halbes Jahrhundert gab es das Format der Rambouillet. Frauen, die bei ihr zu Gast waren, sind von ihr inspiriert und entwickeln ihre Ideen weiter. Wie zum Beispiel Madeleine de Scudery, die damals ein internationaler Star war – und DIE Schriftstellerin des 17. Jahrhunderts. Die Salonnière kämpft in ihren Geselligkeiten und Schriften vehement für die Gleichberechtigung.
Ein echtes Role Model! Mag sich die ein oder andere Frau damals gedacht haben. So wohl auch die Leipziger Schriftstellerin Christiana Mariana von Ziegler. Sie entdeckt um 1735 die französische Salondame fast zufällig und ist inspiriert von ihrer Schrift „Conversations morales“ [sprich: conversasion morall). Von Ziegler hält in ihren sogenannten „Moralischen und vermischten Sendschreiben“ fest:
ZITATORIN:
„Die Unterredungen der Mademoiselle de Scudery gefielen mir und ich hielt es für gut, dass sie jedermann in unserer deutschen Sprache lesen möchte, weil ich darinnen die Regeln einer artigen Lebensart sehr wohl ausgeführt fand.“
SPRECHER:
Christiana Mariana von Ziegler übersetzt de Scuderys Schrift über tugendhafte Geselligkeit, in der Frauen beanspruchen, als Gesprächspartnerinnen auf Augenhöhe zu gelten. Damit ist der französische Aufklärungsfeminismus in Deutschland angekommen. Von Ziegler nimmt de Scudery zum intellektuellen und ethischen Vorbild, adaptiert die französische Salonkultur und wird eine der ersten deutschen Salonnièren, die im 18. Jahrhundert emanzipatorische Pionierarbeit leistet.
TON ASTRID DRÖSE
„Das ist ein Kernanliegen. Die Bildung der Frau und der Mädchen und die Gleichwertigkeit der Geschlechter. Und das sagt sie immer wieder auch im satirischen Ton. Sie forderte auch die Frauen auf, hab den Mut, dich zu entwickeln, lies, lerne Sprachen, denn es bringt doch mehr, wenn du in der Gesellschaft was über Literatur sagen kannst, als wenn du nur über Fleischtöpfe redest.“
SPRECHER:
So die Literaturwissenschaftlerin Astrid Dröse. Sie konnte durch Recherche in der Bayerischen Staatsbibliothek Zieglers Schriften im gesamten deutschen Sprachgebiet nachweisen und betont, wie berühmt die Schriftstellerin und Salonnière im 18. Jahrhundert war. Doch irgendwann verschwindet diese aus der Literaturgeschichte.
TON DRÖSE
„Die feministische Literaturgeschichtsschreibung in den 70er, 80er Jahren hat sich sehr bemüht Autorinnen der frühen Neuzeit und der Aufklärung wieder zu entdecken. Und da ist Christiana Mariana von Ziegler wieder aufgetaucht.“
MUSIK: Max Richter Spring
SPRECHER:
Christiana Mariana Romanus wird 1695 in Leipzig geboren. Sie stammt aus einer Juristenfamilie des gehobenen Bürgertums und erhält eine gute musische und sprachliche Ausbildung. Als ihr Vater wegen politischer Intrigen lebenslang inhaftiert wird, ist Christiana 10 Jahre alt. Die Familie steht vor dem Nichts. Sie heiratet mit 16 Jahren, bekommt eine Tochter, doch kurz darauf verstirbt ihr Mann. Sie heiratet ein zweites Mal, bekommt wiederum eine Tochter, doch auch der zweite Mann Georg Friedrich von Ziegler stirbt bald und schließlich erliegen auch beide Töchter wohl einer Seuche. Schwere Schicksalsschläge.
MUSIK: Bach Konzert Nr. 5 in F-Moll
Doch das Leben muss weitergehen. Christiana Mariana beschließt, Witwe zu bleiben und zieht in ihr Elternhaus, zurück zu ihrer lebenstüchtigen Mutter, die erfolgreich gegen die Versteigerung des Wohnhauses gekämpft hatte.
TON DRÖSE
„Sie hat sich wohl gedacht, das Schicksal hat mir so übel mitgespielt, was mache ich jetzt mit dem Leben? Und da muss sie den Entschluss gefasst haben: warum gründe ich nicht jetzt einen Salon? Sie hatte dazu die Möglichkeiten und offensichtlich ja auch das nötige Selbstbewusstsein. Das führte dann dazu, dass sie dieses Romanushaus zu einem sehr lebendigen Ort der Begegnung in Leipzig gemacht hat. Die Professoren der Universität, Gelehrte, Kaufleute, auch viele Frauen, gingen dort ein und aus.“
SPRECHER:
Christiana Mariana hat die richtige Idee zur rechten Zeit und eine Persönlichkeit, die viele Menschen in ihren Bann zieht. Ihr kommt entgegen, dass Leipzig zu dieser Zeit eine der modernsten Städte des Heiligen Römischen Reichs ist. Die Stadt gilt damals als kleines Paris.
TON DRÖSE
„Es gab die Universität, die ein sehr hohes Niveau hatte. Es gibt eine entsprechende gesellschaftliche Trägerschicht, die auch die Gedanken der Aufklärung verbreitet. Es gibt einen funktionierenden Buchmarkt, die Buchmesse, die ja noch heute existiert, es gibt Drucker, Verleger, also Leipzig war eine Medienstadt. Leipzig war das intellektuelle Zentrum Deutschlands gerade im frühen 18. Jahrhundert.“
SPRECHER:
Die Atmosphäre ihres Salons ist heiter. Christian Gabriel Fischer, ein Professor für Naturlehre, der 1725 auf der Durchreise bei Ziegler vorbeischaut, erwähnt sie extra in seinem Reisebericht. Sie sei …
ZITATOR:
„… viel zu munter und aufgeweckt, als daß sie sich gemein männlichem Verstande unterwerfen sollte Von reden frey, aber gescheid und artig, im Umgang mehr freundlich, lustig und scherzhaft als gravitätisch. Sie schießet mit Büchsen, Pistolen und Armbrüsten. Sie macht alles mit, spielet auf allerhand musikalischen Instrumenten und singt dabey.“
MUSIK: Partita in A Minor; II.Corrente
SPRECHER:
Sie schreibt Gedichte, trägt die gerne spontan vor und animiert auch ihre Gäste, einfach mal drauflos zu reimen, zu singen oder zu spielen. Besonders gern besingt sie das männliche Geschlecht und macht sich über chauvinistisches Gehabe lustig. Die Satire ist für sie wie ein emanzipatorisches Werkzeug, mit dessen Hilfe sie Unbequemes reizvoll verpacken kann. Wie in dieser für Seminarzwecke nachempfundenen Passage aus einem Seminar von Astrid Dröse.
TON Gesang mit Atmo Cembalo:
„Du weltgepriesenes Geschlechte, du in dich selbst verliebte Schar!
Prahlst allzu sehr mit deinem Rechte, das Adams erster Vorzug war.
Doch soll ich deinen Wert besingen, der dir auch wirklich zugehört
So wird mein Lied ganz anders klingen, als das, wofür man dich verehrt.“
TON DRÖSE
„Man sieht, dass ihr so ein Schalk im Nacken saß. Sie hat so dieses leichte Schmunzeln, das sagt: Es ist schon ernst, was ich meine, aber ich sage es mit einem Lächeln im Gesicht. Und viele ihrer Texte sind wirklich gesalzen.
ZITATORIN:
„Seht doch, wie ihr vor Eifer schäumet, wenn’s nicht nach eurem Kopfe geht. O Himmel, was ist da versäumet, wenn man nicht gleich zu Diensten steht!“
SPRECHER:
Verse aus einer Ode von Christiana Mariana von Ziegler, die 1739 im Verlag der königlichen Universitätsbuchhandlung in Göttingen publiziert wird. Sie schreibt nieder, was sie denkt und will veröffentlichen. Dabei hilft ihr ein Salongast, der in ihrem beruflichen Leben eine entscheidende Rolle spielt. Johann Christoph Gottsched. Aber zunächst profitiert er von ihr.
TON DRÖSE
„Wenn man neu in eine Stadt kommt, als junger, gerade fertig studierter Mensch, dann braucht man ein Netzwerk, und da war Ziegler für ihn eine wichtige Figur. Sie hat gleich gemerkt, dass sie irgendwie auch in Fragen der weiblichen Aufklärung auf einer Wellenlinie sind. Gottsched war ein Verfechter der weiblichen Aufklärung, und sie hat ihn eingeführt in die Leipziger Gesellschaft.“
SPRECHER:
Gottsched publiziert die erste deutsche Frauenzeitschrift überhaupt: „Die vernünftigen Tadlerinnen“. Darin ermutigt er Frauen, sich zu bilden, sich mit Wissenschaft und Literatur zu beschäftigen und zu schreiben. Christiana Mariana von Ziegler muss er nicht lange überreden. Sie schreibt drauf los. Zum Beispiel, dass sie von einer rein weiblich regierten Republik träumt, in der die „vernünftigsten Bürgerinnen“ einen Rat einberufen und eine hohe Schule, in der alle „Professoren-Stellen mit weiblichen Personen“ besetzt sind.
Gottsched schätzt ihr literarisches Schaffen so sehr, dass er ihr eine Hymne schreibt.
TON DRÖSE
„Schließlich hat er auch erwirkt, dass sie gekrönt wurde, die Dichterkrönung quasi empfangen hat als kaiserliche Poetin und den Preis der Poesie in der deutschen Gesellschaft erhalten hat; als erste Frau überhaupt in diese Gesellschaft aufgenommen wurde.“
SPRECHER:
So Astrid Dröse. Sie muss aber auch viel Spott und Schmach einstecken, nicht alle sind damit einverstanden, dass sie Erfolg hat. Aber das ist ihr egal. Immerhin läuft ihr Laden, man will sie sehen und hören, der Salon ist gut besucht und es ist nicht ausgeschlossen, dass sogar Johann Sebastian Bach vorbeikam.
TON DRÖSE
„Ganz sicher weiß man, dass sie ihm Manuskripte übergeben haben muss. Er war gerade zum Thomaskantor berufen worden und brauchte neue Texte. ((…)).“
Bach-Kantate: „Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen“
SPRECHER:
Eine Bach Kantate, der Text stammt von Ziegler. Sie versteht es, ihren Namen in die Welt zu tragen. Es kommt ihr entgegen, dass sie Witwe ist. Sie ist frei, unabhängig, muss sich an keine Konventionen der Ehe richten, keinen Mutterpflichten nachkommen. Sie will eigentlich nicht mehr heiraten, obwohl sie viele Anträge bekommt. Aber ein 9 Jahre jüngerer Professor für Geschichte namens Wolf von Steinwehr wirbt erfolgreich um sie. 1941 folgt sie ihm nach Frankfurt. Das Licht im Leipziger Salon erlischt. Aber ihr Feuer brennt weiter.
Musik: Spring
TON DRÖSE
„Es ist schwer zu sagen, wer sie aufgegriffen hat, denn wir kennen die Autorinnen des 18. Jahrhunderts noch nicht so gut. Das wäre noch weiter zu erforschen, ob sie sich stilistisch an Ziegler orientiert oder ihre ganze Lebensweise als Modell verwendet haben. Jedenfalls hat sie etwas in den Diskurs eingespeist, was nicht mehr wegzudenken war.
SPRECHER
Der lange Weg zur Mündigkeit war geebnet.
SPRECHER (Podcast-Absage)
Die ersten Salonnièren – von Susanne Brandl: Lange Zeit durften Frauen weder politisch entscheiden noch öffentlich mitreden. Vor rund 400 Jahren hatten adelige und bürgerliche Frauen dann die Idee, Gelehrte einfach zu sich nach Hause einzuladen.
En liten tjänst av I'm With Friends. Finns även på engelska.