"Todschick" war so mancher historische Kosmetik-Trend. Vom Blei-Kajal im alten Ägypten über die toxische Blässe einer Elizabeth I. bis ins 19. Jahrhundert, als man für den Teint Arsenwaffeln knabberte und schleichend vergiftete. Viel Risiko für ein Ideal: Beim Make-Up geht es bis heute um mehr als nur ums Aussehen. Autorin: Karin Becker (BR 2025)
Credits
Autorin dieser Folge: Karin Becker
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Friedrich Schloffer, Thomas Birnstiel, Julia Fischer
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Katharina Hübel
Im Interview:
Frauengeschichte:
Für noch mehr spannende und überraschende Frauengeschichten empfehlen wir den BR-Instagram-Kanal FrauenGeschichte: https://www.instagram.com/frauen_geschichte/. Und den Podcast zum FrauenGeschichte-Kanal in der ARD Audiothek: Ein Zimmer für uns allein: https://www.ardaudiothek.de/sendung/ein-zimmer-fuer-uns-allein/urn:ard:show:0901ee64e854603b/
Literatur:
- Rabea Weihser: Wie wir so schön wurden. Eine Biografie des Gesichts. Diogenes 2025. Eine sehr informationsreiche und unterhaltsame Expedition durch die Kulturgeschichte der Selbstgestaltung.
- The Art of Beauty. Ausstellungskatalog Schloss Ambras 2025. Aufsätze auf Spurensuche zu Schönheit und Körperpflege von der Antike bis ins 18. Jahrhundert.
- Mit Haut und Haar. Frisieren, rasieren, verschönern. Wien Museum 2018. Ausstellungskatalog mit interessanten, teils allgemeinen, teils wienspezifischen Artikeln zur Geschichte der Schönheitspflege seit der Aufklärung, viele Abbildungen.
- Lisa Eldridge: Face Paint: The Story of Make Up. Make-up gestern-heute-morgen. Stiebner 2016. Sehr konkrete und beispielreiche Kosmetikgeschichte einer Make-Up-Begeisterten
- Maren Saiko: Cura dabit faciem. Kosmetik im Altertum; literarische, kulturhistorische und medizinische Aspekte. 2005. Grundlagenarbeit zur Kosmetik der Antike.
- Make Up! Aus der Geschichte der dekorativen Kosmetik. Begleitbuch zur gleichnamigen Wanderausstellung des Westfälischen Museumsamtes, LWL Münster 1998.
- Spieglein, Spieglein an der Wand. 300 Jahre Schminken und Frisieren. Kultur- und Stadthistorisches Museum Duisburg 2003.
Wir empfehlen rund um die Themen Schönheit und Kosmetik diese Folgen von Radiowissen und IQ Wissenschaft und Forschung:
Philosophie der Schönheit. Was den Menschen schön macht.
Es sind nicht nur äußere Körpermerkmale, die Menschen schön machen, sondern auch Charakter und Sensibilität. Doch wie hängen Äußeres und Inneres zusammen? Die Antwort fällt in verschiedenen Kulturen und Zeiten unterschiedlich aus.
Schönheitschirurgie. Von Botox, Silikon und Sucht.
Schönheit ist ein Wert an sich und wird seit jeher mit Glück und Erfolg assoziiert. Um ihrem Schönheitsideal näher zu kommen, nimmt eine wachsende Zahl von Menschen so einiges auf sich. Und die Schönheitschirurgie macht Vieles möglich.
Botox to go? Was das Nervengift Botulinumtoxin wirklich kann
Botox gilt als wirksames Mittel gegen Falten und zählt heute zu den beliebtesten Schönheitsbehandlungen in Deutschland. Doch was genau bewirkt das Nervengift Botulinumtoxin im Gesicht? „IQ – Wissenschaft und Forschung“ Über Wirkweise und Risiken bei der Botox-Behandlung.
Linktipps:
Informationen zur Ausstellung „The Art of Beauty“ auf Schloss Ambras:
Die Sonderausstellung The Art of Beauty begibt sich auf Spurensuche und betrachtet Schönheit und Körperpflege von der Antike bis ins 18. Jahrhundert.
Quarks mit einem Experiment: Warum haben es schöne Menschen leichter?
Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters – oder etwa nicht? Fakt ist: Schöne Babies erfahren mehr Zärtlichkeit, sie haben später mehr Freunde, bekommen bessere Noten, verdienen mehr Geld. Erliegen wir alle der Macht der Schönheit?
Wir freuen uns überFeedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Die untersuchten Knochen des frühverstorbenen Nachwuchses weisen auf eine chronische Bleivergiftung hin. Was das für die Kinder bedeutet haben mag, will man sich kaum vorstellen: Von Bauch- und Kopfschmerzen über Lähmungserscheinungen, Panikattacken und Hyperaktivität bis hin zu verminderter Intelligenz. Auch zeitgenössische Berichte deuten darauf hin, dass der Kriegeradel zuletzt Nachwuchssorgen hat und einige ihrer letzten Anführer Zeichen geistiger Einschränkungen zeigen.
SPRECHER
Das japanische Forschungsteam untersucht auch die Gebeine von Erwachsenen der Zeit: Die der Männer sind halb so stark mit Blei verseucht wie die der Frauen; die der Kinder im Durchschnitt aber zehnmal so stark – je jünger die Kinder, desto stärker. Jedoch gilt all das nur für die Knochen reicher Menschen. In denen von Bauern etwa, zum Vergleich untersucht, gibt es keinerlei Hinweis auf eine Bleivergiftung. Nur Menschen mit Geld sind also vergiftet, und unter ihnen besonders die Frauen und noch mehr die Kinder. Aus dieser Indizienlage zieht das Forscherteam seinen Schluss:
SPRECHERIN (selber Tonfall, wie beim Einstieg)
Es waren die Mütter.
Beziehungsweise deren bleihaltiges Make Up, mittels dessen sie sich – dem weiblichen Schönheitsideal der Zeit folgend – möglichst blass zeigen wollten. Dazu leisteten sich reiche Frauen eine Paste, die unter anderem Bleiweiß enthielt. Und das sei per intensivem Körperkontakt von den Kindern aufgenommen worden, so die Hypothese. Kinderkörper nehmen Blei deutlich leichter auf als die von Erwachsenen. Ein Fall von „toxischer Zärtlichkeit“ also, und zwar im wörtlichen Sinn.
SPRECHER
Ob es tatsächlich genau so war? Um sich sicher zu sein, ist die Studie zu klein und in manchem zu ungenau. Aber: sie stellt eine Hypothese auf, die von Japanologen durchaus für plausibel gehalten wird. Das bleihaltige Make Up könnte den Niedergang der Elitekrieger vorbereitet haben, indem es deren Nachwuchs schwächte. Hat es die Kosmetik-Geschichte tatsächlich in sich, ganze Kulturen und Machtsysteme ins Wanken zu bringen?
SPRECHERIN
Auch aus der westlichen Welt gibt es mannigfach Berichte über bewusste und unbewusste kosmetische Vergiftungen – um der Schönheit willen.
Der Mediziner und Publizist Carl Reclam berichtet Mitte des 19. Jahrhunderts gar:
ZITATOR
„daß Damen durch Schminken ihren Tod gefunden haben, ist thatsächlich.“
SPRECHER
Für die Ausstellung „The Art of Beauty“ hat sich Kuratorin Katharina Seidl mit Schönheit und Körperpflege seit der Antike beschäftigt.
OTON 1 Seidl
„Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Giftstoffen, die in der Kosmetik über die Jahrhunderte verwendet worden sind. Ein ganz großes ist zum Beispiel Arsen.“
SPRECHER
Die schönheits-befördernde Wirkung von Arsen ist bereits in Arzneimittelbüchern des 16. Jahrhunderts verzeichnet. Besonders im 18. und 19. Jahrhundert wird das Schwermetall, heute bekannt als klassisches Giftmord-Mittel der Kriminalliteratur, vermehrt zur Schönheitspflege eingesetzt.
OTON 2 Seidl
Man hat Pferden, bevor man sie verkauft hat, Arsen zu fressen gegeben, weil dadurch das Fell glänzend geworden ist. Dann hat man sich gedacht, wenn das bei Pferden funktioniert, geht es sicher bei Menschen auch. (…) Und es hat tatsächlich diese Wirkung gehabt, dass das Haar glänzend geworden ist, dass aber auch der Teint gesund und rosig geworden ist und die Menschen zugenommen haben, weil durch diese Schleimhautreizung auch im Magen hat man einfach dann mehr Hunger gehabt, mehr gegessen, hat gleichzeitig generell stärkere Durchblutung erfahren, deswegen rote Wangen bekommen. Würde man meinen, ein perfektes Schönheitsmittel. Nur natürlich in höherer Dosierung und über längere Zeit eingenommen war es auch ein Problem.“
SPRECHER
Arsen führt dann zu dunklen Flecken auf der Haut, zu Haarausfall, zu geschädigten Nieren und erhöhtem Krebsrisiko. Mit Augenschäden und Kopfschmerzen musste hingegen rechnen, wer zu häufig ein Schönheitsmittel anwandte, das besonders im 18. Jahrhundert beliebt war. „Belladonna“, also „schöne Frau“ wurde das Mittel genannt,
OTON 3 Weihser
„mit dem sich Frauen die Pupillen geweitet haben, also Tollkirschengift.“
SPRECHER
Auch die Journalistin und Autorin Rabea Weihser hat sich ausführlich mit den kulturgeschichtlichen Spielarten der Selbstgestaltung beschäftigt.
OTON 4 Weihser
„Und warum will man weite Pupillen haben?! (lacht) weil geweitete Pupillen auf eine erhöhte Erregung schließen lassen. Und das wiederum hat einen anregenden Effekt auf das Gegenüber. Also wenn man von jemandem mit weiten Pupillen angeguckt wird, dann reagiert man ganz automatisch darauf, unwillkürlich. Und das ist natürlich interessant, dass das eben in der Kosmetik oder sagen wir im „Dating“ vor 200 Jahren angewandt wurde, und dass man damit Gifte einsetzte, die dann auch wirklich physiologische und psychologisch kommunikative Wirkung hatten.“
SPRECHER
Wenn Menschen ihr Aussehen beeinflussen und verändern, geht es also darum, der Außenwelt etwas mitzuteilen. Im Zentrum dieser Art von Kommunikation steht das Gesicht, so die These von Rabea Weihser. Ihr Sachbuch trägt auch den Titel: „Wie wir so schön wurden. Eine Biografie des Gesichts“.
OTON 5 Weihser
Also das Gesicht ist natürlich eine tolle Fläche, quasi eine Din-A-vier-Seite groß, auf der wir sehr viel kontrollieren können. Und auch wollen und auch müssen – da sitzen vier von fünf unserer Sinne, und das ist eigentlich eine dauerhafte Kommunikationsfläche nach innen und nach außen. Wir senden Informationen über unser Inneres nach außen, und wir nehmen wahr, wie uns andere begegnen. Und dass wir diese Fläche in Anführungszeichen optimal gestalten wollen, finde ich, erschließt sich da ganz automatisch.
SPRECHER
Für die „optimale Gestaltung“ greifen Menschen – so sehr sich Schönheitsideale auch durch die Zeiten verändern – mindestens seit der Antike auch zu Giftstoffen: Blei, Quecksilber, Cadmium, Antimon, Arsen - um Beispiele zu nennen. Hinweise auf deren Verwendung ergeben sich einerseits aus Schriftquellen, wie etwa erhaltenen Rezepturen. Andererseits aus Relikten wie Knochen oder Resten von Schminkmitteln.
Über die vermeintlich ahnungslosen, sich „nur“ für ihr Aussehen selbst vergiftenden Vorfahren herablassend den Kopf zu schütteln, wäre aber viel zu einfach. Ein gutes Beispiel dafür: Das Augen-Make-up im antiken Ägypten.
MUSIK ALTES ÄGYPTEN
SPRECHER
Die Kosmetikkultur damals ist groß, die Herstellungsprozesse langwierig und aufwendig. Das tägliche Make Up der Ägypterinnen und Ägypter in der Antike ist unglaublich vielfältig, was schon allein die große Zahl der gängigen Schminkutensilien verrät.
Ockergelbe Gesichtsgrundierung, bläulich nachgezogene Schläfenlinien, Rouge auf Wangen und Lippen, geschminkte Lider, mit Kajalsalben umrandete Augen: Sich zu schminken ist zum einen ein Weg, die Götter zu ehren und mit ihnen in Verbindung zu treten. Rabea Weihser:
OTON 6 Weihser
Im alten Ägypten hatten diese Schminkrituale einerseits einen religiösen Hintergrund. Andererseits waren sie sicherlich auch ein Mittel der Verschönerung. Aber – und das finde ich besonders interessant an dieser Epoche: Dass die alten Ägypter schon wussten, dass vor allen Dingen in der Augenschminke, in ihrem Kajal, antiseptische Wirkstoffe enthalten waren und sie das aufgetragen haben, um sich zum Beispiel vor Bindehautentzündungen zu schützen, weil sie in einem sehr sandigen, windigen und schlammigen Klima gelebt haben.
SPRECHER
Die schützende Wirkung ihres Kajals schreiben die antiken Ägypter, wie wir aus Handschriften wissen, den Gottheiten Horus und Ra zu: Sie schützen, so der Glaube, die Träger des Augen-Make-Ups vor Krankheiten. Überraschend ist, dass die damals also metaphysisch erklärte Wirkung des Augen-Make-Ups sich heute naturwissenschaftlich nachweisen lässt:
So veröffentlichte 2009 eine Gruppe französischer Forscherinnen und Forscher eine Studie zur chemischen Zusammensetzung altägyptischen Augenmakeups. Dazu untersuchten sie sparsamst entnommene Pulverreste aus 52 altägyptischen Schmink-Gefäßen aus dem Louvre Museum. Als Hauptbestandteil der Schminke fanden sie: Bleiverbindungen.
OTON 7 Weihser
Und das waren dann auch Stoffe, die man nicht unbedingt in der natürlichen Umwelt gefunden hat, sondern da muss man davon ausgehen, dass die Ägypter diese Bleierze ganz bewusst hergestellt haben. Durch chemische Prozesse, weil sie um die Wirkung wussten.
SPRECHER
Die alten Ägypter wollten also Blei in ihrem Make Up und nahmen dafür aufwendige Produktionsverfahren in Kauf - dabei ist Blei heute vor allem für seine starke Giftigkeit bekannt.
Und genau deswegen ist so interessant, was bei den weiteren Tests der französischen Forscher im Labor passierte: Sie brachten dort nämlich die entdeckten Bleiverbindungen des altägyptischen Make-Ups mit menschlichen Hautzellen zusammen. Statt der erwarteten Schädigung der Hautzellen hatte das Blei eine ganz andere Wirkung: Es führte zu einer um 240 Prozent erhöhten Produktion von Stickoxiden. Und das ist im Prinzip das Gegenteil von Giftigkeit: Denn Stickoxide regen das Immunsystem an, Bakterien zu bekämpfen – sind also: antibiotisch. Gerade in sumpfigen Gebieten am Nil sicherlich hilfreich, so die Überlegung der Forschergruppe.
Ihr Fazit: Die Ägypter haben vor rund 4000 Jahren die Bleiverbindungen nicht etwa übersehen oder unterschätzt – sondern ziemlich sicher ganz bewusst gut dosiert und kosmetisch nutzbar gemacht.
MUSIKAKZENT
SPRECHER
((Kosmetisch eingesetzte Gifte kann man also nicht so einfach als Fehler unserer Vorfahren abtun. Der Blick zurück muss differenzieren.)) Oft hängt mehr Kultur- und Sozialgeschichte an den historischen Beautytrends, als wir aus der heutigen Perspektive vielleicht vermuten mögen. Romana Sammern beispielsweise kann das für die Vormoderne bestätigen, also für die Zeit nach dem Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert. Sie ist Kunsthistorikerin am Mozarteum in Salzburg und hat die Ausstellung „The Art of Beauty“ wissenschaftlich beraten.
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