Mikrochips sind mittlerweile unentbehrlich: Sie stecken im Kühlschrank, im Auto oder der EC-Karte. Seit Intel 1971 den ersten integrierten Schaltkreis in Serie produzierte, hat die Technologie einen globalen Siegeszug angetreten. Doch das kostbare Gut sorgt immer wieder für Streit unter Wirtschaftsmächten. Von Lukas Grasberger (BR 2022)
Credits
Autor dieser Folge: Lukas Grasberger
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Jerzy May, Julia Fischer
Technik: Roland Böhm
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Frank Dittmann, Kurator Hauptabteilung Technik, Deutsches Museum, München
Genevieve Bell, Senior Fellow bei Intel und Professorin für Kybernetik, Australian National University, Canberra
Klaus Behling, Journalist und Klaus Behling, Autor „Die DDR und der High-Tech-Schmuggel“, Potsdam
Reinhard Buthmann, Autor „Kadersicherung im Kombinat VEB Carl Zeiss Jena: Die Staatssicherheit und das Scheitern des Mikroelektronikprogramms“
Jan-Peter Kleinhans, Halbleiter-Experte Stiftung Neue Verantwortung, Berlin
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SPRECHER
Die junge Frau erschrickt, als sie aufwacht: Sie hat verschlafen! Der Wecker hat nicht geklingelt. Schnell ins Bad, Waschen und Zähneputzen, aber: Die elektrische Zahnbürste streikt.
MUSIK HOCH
Doch der Alptraum beginnt erst: Auch das Auto springt nicht an. Im Krankenhaus, wo die junge Frau arbeitet, kann sie nicht Bescheid geben: das Smartphone ist tot. In der Klinik würde ohnehin keiner abnehmen, es herrscht Ausnahmezustand. Fast das gesamte medizinische Personal ist auf der Intensivstation, wo es versucht, den Ausfall von lebenserhaltenden Maschinen zu kompensieren.
MUSIK HOCH
ERZÄHLERIN
Dieses Szenario ist erfunden und ist noch nie eingetreten. Aber es zeigt: Versagten alle Mikrochips auf einmal ihren Dienst: Unser gesamtes Alltagsleben würde binnen Sekunden zusammenbrechen.
ERZÄHLERIN
Mikrochips sind heute in unserem Alltag allgegenwärtig: Millimetergroße, und dennoch mehrstöckige Gesamtkunstwerke, in dem viele Millionen Transistoren, Widerstände und Kondensatoren lautlos zusammenarbeiten – und die in der Dating-App genauso stecken wie in der komplexen Steuerung des Autoverkehrs. Klingt nach abgefahrener Raketenwissenschaft? Ja, das war die Chip-Technologie Anfangs im wahrsten Sinne des Wortes, sagt der Münchner Technik-Historiker Dr. Frank Dittmann.
O-Ton 1 Dr. Frank Dittmann, Kurator Abteilung Starkstromtechnik, Energietechnik und Automatisierungstechnik, Deutsches Museum München
„Denn da kommts ja vor allem drauf an, sehr klein zu bauen, und bei Raketen oder auch bei Flugzeugen die Masse zu minimieren. Das kann man mit solchen integrierten Bauelementen sehr gut. Und das ist so forschungsintensiv, bevor man überhaupt verstanden hat, was da passiert: Das konnte eigentlich nur das Militär bezahlen.“
ERZÄHLERIN
Es war der Kalte Krieg - und vor allem der Wettlauf zwischen Ost und West ins All, der der Entwicklung der Chip-Technologie einen entscheidenden Schub gab.
Musik CREATIVE IDEAS (B) 0‘40
ERZÄHLERIN
Ein frühes Video der US-Raumfahrt-Organisation NASA: Männer in schwarz-weiß drücken klobige Tasten an einer riesenhaften Steuerungs-Konsole. Es sind Test-Ingenieure, die den Navigations-Rechner für das Apollo-Raumfahrzeug ausprobieren, das im Jahre 1969 auf dem Mond landen sollte. Der Computer im Inneren der heute monströs wirkenden Apparatur war der erste, der eine Technologie nutzen sollte, die noch in den Kinderschuhen steckte. Die aber bald – unter der landläufigen Bezeichnung „Mikrochip“ - maßgeblich den Weltenlauf mitbestimmen wird.
Für die Mond-Mission des Jahres 1969 brauchte die NASA zur Berechnung der Flugbahn einen Rechner an Bord, der zuverlässig funktionierte – der gleichzeitig aber auch so klein und leicht wie möglich war.
O-Ton 2 Dittmann
„Wenn ich ne Rakete hochschicke, dann geht’s natürlich um Platz, und es geht auch um Gewicht, es geht auch um Energie, die man dort einsetzen muss.“
ERZÄHLERIN
...erklärt Frank Dittmann. Er ist Kurator der Abteilung für Starkstrom-, Energie- und Automatisierungstechnik am Deutschen Museum München.
O-Ton 3 Dittmann
„All das waren natürlich limitierende Faktoren. Also insofern musste man sich eine Technologie suchen, die dafür Lösungen bereithielt - und das ist eben die Halbleitertechnik.“
MUSIK: CANS AND COMPUTERS 0‘42
ERZÄHLERIN
Die Neuerung bei dieser Technologie: Elektronische Schaltungen brachte man im Miniaturformat auf hauchdünnem Silizium auf. Silizium, das vor allem aus Quarzsand hergestellt wird, gilt als perfektes Trägermaterial. Denn Silizium ist ein so genannter Halbleiter, das heißt: Es ist - je nach Notwendigkeit – elektrisch leitfähig oder isolierend. Zwischen diesen beiden Zuständen kann nun gezielt geschaltet werden. So lassen sich Schaltkreise – quasi Rechner im Miniformat – komplex gestalten, wie dies früher nur mittels Röhren möglich war.
ERZÄHLERIN
Die Idee, Bauelemente auf einem Trägermedium zusammenzubringen, stamme bereits aus den 1930er-Jahren, betont Frank Dittmann. Doch diese Zusammenschaltung von Elektronen-Röhren, wie sie etwa bei Radiogeräten zum Einsatz kam, hatte ihre Tücken. Sie machte die Geräte immer größer, komplexer – und fehleranfälliger. Welches der vielen Teile war jetzt wieder kaputtgegangen? Oder hatte die weit verzweigte Verdrahtung irgendwo einen Wackler?
O-Ton 4 Dittmann
„Deswegen haben die angefangen, einen neuen Typ von integriertem Schaltkreis zu produzieren, oder – zu erst einmal – zu entwickeln. Nämlich den integrierten Mikroprozessor. (...) Nämlich Bauelemente zusammen zu einer Schaltung, und dann möglichst in ein Gehäuse zu bringen. Vorher war ja die Idee: man baut die speziellen Schaltungen so für das, was man braucht. Und wenn man was anderes braucht, muss halt ne spezielle Schaltung her. Und dort war die Idee: Ich baue einen kleinen Rechner – also Prozessor -, den ich programmieren kann. Damit er das tut, was ich will.“
ERZÄHLERIN
Es war der Radio-Konstrukteur Jack Kilby, der 1958 einen Miniatur-Schaltkreis von der Größe eines halben Bierdeckels entwickelte. Statt der klobigen Röhren setzte der Elektroingenieur auf kleine, aber feine Transistoren: Bauteile, die als Ein- oder Ausschalter oder als Verstärker von Strom fungierten. Diese elektronischen Bauteile wurden nun auf einen Halbleiterkristall aufgebracht, die Transistoren und ihre Verdrahtung wurden quasi auf den Halbleiter-Träger aufgezeichnet. Je mehr man die Striche auf dem Chip verfeinerte, umso mehr ließen sich die Schaltkreise verkleinern.
MUSIK: TESTING OUT 1‘02
Die Idee schien in der Luft zu liegen: denn nahezu gleichzeitig mit Kilby tüftelte auch sein Konkurrent Robert Noyce an dieser integrierten Schaltung.
Noch war die Technologie zu teuer für den Massenmarkt: Doch das US-Militär investierte in derartige sogenannte integrierte Schaltkreise, um die Schnelligkeit von Waffensystemen und Rechnern zu steigern. Nur dank dieser Vorarbeit konnte die Landung auf dem Mond dann zum erste Meilenstein in der Geschichte des Mikrochips werden.
MUSIK HOCH
ERZÄHLERIN
Die Serienfertigung von Mikrochips für den freien Markt begann 1971 die US-Firma Intel. Da die Bauteile immer winziger wurden, konnten auf den dünnen Halbleiterplättchen immer mehr Schaltkreise aufgebracht werden. Damit wandelten sich Computer fundamental, sagt die Anthropologin Genevieve Bell. Die australische Professorin hat lange Jahre als leitende Wissenschaftlerin für Intel gearbeitet.
O-Ton 5 Genevieve Bell OV
SPRECHERIN Voice Over
„Ich konnte einmal mit der Person sprechen, die irgendwann in den 40er-Jahren den ersten australischen Computer gewartet hat. Er sagte mir: Immer wenn ich ihn ausgeschaltet habe, dann war das, als würde man ein lebendes Wesen töten. Rechner waren damals physisch sehr präsent: sie nahmen viel Raum ein, sie machten Lärm, und sie rochen. Das sollte sich in den folgenden Jahrzehnten ändern. Dank unserer Mikrochips wurden sie immer kleiner - und in den 70er-Jahren waren Computer recht unpersönliche Geräte geworden, die bald auf jedem Schreibtisch standen; die keine persönliche Wartung mehr brauchten - und die zunächst vor allem für buchhalterische Zwecke genutzt wurden.“
ERZÄHLERIN
Der erste Intel-Mikrochip „4004“ war dann auch in einem Tischrechner verbaut, nützlich etwa für Buchhalter und Ingenieure. Schnell nahm das Ganze Fahrt auf: Nahezu jedes Jahr verdoppelte sich auf den Chips die Anzahl der Bauteile. Mit doppelt so vielen Schaltungen kann ein Mikrochip doppelt so schnell rechnen. Verdoppelt sich die Transistoren Zahl nun alle 12 bis 24 Monate – wie es der Intel-Gründer Gordon Moore vorhersagte, dann steigt die Leistungsfähigkeit schnell exponentiell.
O-Ton 6 Bell OV
Sprecherin Voice Over
„Gordon Moore hat nicht nur die technischen Entwicklungssprünge des Mikrochips prognostiziert, nein: Er hat in seinem Aufsatz auch treffende Szenarios skizziert, was passieren würde, würden diese Mikrochips allgegenwärtig. Dann nämlich würden die Mikroprozessoren die Art und Weise verändern, wie wir miteinander kommunizieren. Wie wir arbeiten; wie wir einkaufen – ja: wie wir zusammenleben, in unseren Wohnungen, oder genereller, in Städten. Moore hat verstanden, dass eine auf den ersten Blick nur technische Innovation das Potenzial hatte, unser aller Leben von Grund auf zu verändern.“
MUSIK: MACHINE LIKE 0‘38
ERZÄHLERIN
Der Mikrochip war Bell zufolge die Keimzelle der anhaltenden „digitalen Revolution“. Es reiche deshalb nicht, Mikrochips stetig in Punkto Materialien, Produktionsprozess, oder Leistungsfähigkeit zu verbessern, betont Genevieve Bell, die neben ihrer Professur noch als „Senior Fellow“ für Intel tätig ist. Forscher und Entwickler müssten immer auch aktuelle wie zukünftige Anwendungsmöglichkeiten mitdenken. Als Anthropologin spüre sie deswegen im Auftrag des Unternehmens der grundsätzlichen Frage nach: Was machen Mikrochips mit Menschen?
O-Ton 7 Bell
Sprecherin Voice Over
In den letzten Wochen etwa habe ich mir von hier, meinem Büro in Canberra aus, digitalisierte Objekte der Weltausstellung im 19. Jahrhundert in London angesehen. Schließlich können wir uns dank leistungsfähiger Mikroprozessoren in unseren Rechnern nun nicht nur unterhalten, sondern uns sogar über Kamera sehen.
ERZÄHLERIN
...erzählt Bell per Videokonferenz von Australien aus.
O-Ton 8 Bell
Sprecherin Voice Over
„Und wenn Sie nun vorhergesagt haben, dass Sie mit ihrem Erscheinungsbild in der Videokonferenz unzufrieden sind, so zeigt das, dass diese Technologie nicht nur unsere gegenseitige Wahrnehmung - sondern auch das Bild von uns selbst verändert.“
ERZÄHLERIN
Niemand bleibe von den Auswirkungen der neuen Technologie und der Erfindung des Mikrochips unberührt, sagt die australische Professorin. Dies gelte für Bewohner eines weit abgelegenen afrikanischen Dorfes, die nur dank Online-Überweisungen von Verwandten im reichen Europa überlebten - genauso wie für einen auf den ersten Blick von der Welt abgeschnittenen Farmer in den Weiten Australiens.
O-Ton 9 Bell OV
Sprecherin Voice Over
„Der erzählte mir bei einer meiner Feldforschungen: „Wissen Sie, ich google jeden Tag!“. Darauf ich ich: „Moment mal, gerade haben Sie erzählt, sie hätten nicht einmal einen Computer?“ Es stellte sich dann heraus, dass dieser Farmer immer seine Tochter anruft, wenn er eine Frage hat – und die gibt diese dann für ihn in die Suchmaschine ein. Dieser Landwirt brauchte also nicht einmal einen Rechner, um mit der Welt vernetzt zu sein. Ein Beispiel, das zeigt: Die Mikroprozessor-Technologie beeinflusst das Leben jedes Individuums weltweit – auch wenn sich die Auswirkungen jeweils sehr unterschiedlich ausgestalten.“
MUSIK: MASCHINE LIKE 0‘17
ERZÄHLERIN
Doch damit die Mikrochip-Technologie weitreichende Wirkungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft entfalten konnte, musste sie zuerst einmal den jahrzehntealten Nimbus einer sperrigen Spezialanwendung für Buchhalter oder Ingenieure ablegen.
O-Ton 10 Bell
Sprecherin Voice Over
„Dazu kamen sie dann nach Hause: Als Personal – oder so genannte Home-Computer.“
ERZÄHLERIN
Zu Beginn der 1980er-Jahre waren Home-Computer das neue Ding. Erstmals kam eine breite Bevölkerung mit Computern in Kontakt, der in einem grauen Gehäuse ruhenden „Commodore 64“ - zog auch in viele deutsche Haushalte ein.
GERÄUSCH PAC MAN SOUND
Doch der von außen bieder wirkende „Brotkasten“ hatte es in sich: Auf der Platine waren neben dem-Haupt-Prozessor auch ein Sound- und ein Videochip integriert.
Dies machte ihn zum Renner für scheppernde und blinkende Computerspiele, die oft im Wohnzimmer über den Fernsehbildschirm flimmerten.
GERÄUSCH TIPPEN
Der digitale Fortschritt veränderte in den 80ern auch die Büroarbeit: Überall zogen Personal Computer – kurz PCs – ein. Schrittmacher dieser Geräte waren Chips, die immer kleiner und gleichzeitig leistungsfähiger wurden. Damit konnte mehr Speicher genutzt werden - was komplexere und bessere Programme ermöglichte.
Doch nicht nur in den Büros – auch in der Produktion war der Siegeszug der Mikrochip-Technologie nicht aufzuhalten. Weltweit wurden Maschinen und Anlagen in großem Stil mit Mikrochips bestückt.
O-Ton 11 Klaus Behling, Autor „Die DDR und der High-Tech-Schmuggel“
„Das ist ja nicht nur ein bisschen Rechentechnik gewesen, sondern das war eine grundlegende Umstellung in der Produktion....
ERZÄHLERIN
...die vor allem den Anlagen- und Maschinenbau betraf, sagt der Journalist und Autor Klaus Behling.
O-Ton 12 Behling
„Und diese Umstellung der Produktion hat natürlich zu Wertverschiebungen geführt. Diese Maschinenbau-Ergebnisse haben sich mit der Mikroelektronik so verändert, dass also letztlich die eigentliche Maschine nur noch 20 Prozent des Wertes ausmachte, manchmal sogar noch weniger, und die Steuerung 80 Prozent.
MUSIK: NOT KNOWING 0‘29
ERZÄHLERIN
Glänzende Geschäfts-Aussichten für die Halbleiter-Industrie, die solche Mikrochips für die Maschinen-Steuerung liefern konnte – und düstere Perspektiven für diejenigen, die nicht an diese Chips kamen, wie etwa Hersteller in der DDR. Seinerzeit weit vorn in Bau und Export etwa von Werkzeugmaschinen, drohten dem Staat nun massive Einbußen bei den lebensnotwendigen Devisen.
O-Ton 13 Behling
„Sie machte also diesen riesen Eisenklotz, und ein anderer setzte sein kleines Kästchen rein – und kassierte 80 Prozent des Preises für die Maschine. Und daraus ergab sich dann letzten Endes die Notwendigkeit, entsprechend zu reagieren.“
MUSIK: STRIP OF WORLD 0‘23
ERZÄHLERIN
Es waren zum einen ein zu später Einstieg in die Halbleitertechnik, zum anderen das Abgeschnitten-Sein von Know-How und Material, die die DDR ins Hintertreffen und damit in Zugzwang brachten. Denn der Westen hatte gegen die sozialistischen Staaten des Ostblocks ein Wirtschaftsembargo verhängt, das auch Hochtechnologie umfasste. Den Mangel versuchte die DDR mit dem Schmuggel und dem Klau von Wissen wettzumachen – Wissen, was Chips sowie das Rohmaterial und Maschinen für deren Produktion anbelangt. Was unter das Embargo fiel, musste teuer illegal eingeführt werden – und entsprach oft nicht einmal dem modernsten Stand der Technik. Die DDR lieferte sich so ein hochruinöses Wettrennen mit dem Westen, das nicht zu gewinnen war.
O-Ton 14 Buthmann
„Diese ganze Mikroelektronik-Import-Geschichte der DDR – forciert Mitte der 80er-Jahre – führte eindeutig in eine krisenhafte Situation und verschärfte mit Sicherheit den Abstieg der Volkswirtschaft der DDR – und mithin auch des politischen Systems.
„Der illegale Import von Hochtechnologiegütern hat mit Sicherheit die Existenzdauer der DDR verkürzt.“
ERZÄHLERIN
...so das Fazit von Reinhard Buthmann, der das Mikroelektronik-Programm der DDR erforscht hat.
MUSIK: SIGNS OF RELAXATION 0‘48
Zeitgleich mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ kamen erste Zweifel am „Moore´schen Gesetz“, dieser Prognose eines exponentiell wachsenden Potenzials von Mikrochips auf, bis Mitte der 1990er-Jahre hatten dann die Ansprüche an Mikroprozessoren ihre tatsächliche Leistungsfähigkeit überstiegen. Neue Lösungen mussten her:
Statt immer mehr Leistung in nur einen Prozessor zu stecken, teilte man die Aufgaben auf:
Hauptprozessor, Arbeitsspeicher und Grafikeinheit werden nun auf einem Chip platziert - neben – oder sogar übereinander. Dieses „System On a Chip“ kam zunächst vor allem bei Smartphones zum Einsatz.
O-Ton 15 Dittmann
„Wir tragen heute einen Supercomputer von vor zwanzig Jahren in Hosentasche – und merken das gar nicht. Es ist enorm, wie da die Leistungsfähigkeit zugenommen hat“
ERZÄHLERIN
Chips, die immer kleiner und leichter werden, ermöglichen eine neue Infrastruktur unserer Informationsgesellschaft: Das „Internet der Dinge“, sagt Genevieve Bell.
O-Ton 16 Bell OV
Sprecherin Voice Over
„Gordon Moore hat bereits vorhergesehen, dass Mikroprozessoren an allen möglichen oder unmöglichen Orten zum Einsatz kommen würden – etwa in Autos, und dass diese Objekte mit anderen Gegenständen kommunizieren würden.“
ERZÄHLERIN
Unterschiedliche Objekte – seien sie real oder virtuell – sind miteinander sowie mit dem Internet vernetzt und arbeiten im „Internet der Dinge“ zusammen. Hauchdünne Halbleiter-Chips können dabei nicht nur als Prozessoren Rechnen und Steuern. Sie sind auch als Speicher im Einsatz - und als Sensoren, die messen und Signale übermitteln. Im „Smart Home“ etwa weiß ein „intelligenter“ Kühlschrank, was fehlt – und sendet diese Botschaft ans Smartphone seines Besitzers, sobald dieser den Supermarkt betritt. Beim autonomen Fahren misst ein Sensor den Abstand zu einem vorausfahrenden Auto und meldet dies an einen Prozessor-Chip, der diese Information verarbeitet - und automatisch bremst.
MUSIK: ENDLESS DATA (C) 0‘42
Eine segensreich scheinende Zukunftstechnologie – die sich aber schnell als Fluch erweisen kann: Fällt ein für die Sicherheit der Passagiere höchst relevantes Teil aus, ist das ganze System lahmgelegt.
Die Omnipräsenz der Mikrochips hat mittlerweile Abhängigkeiten in großem Maßstab geschaffen. Mangelt es – wie während der Corona-Pandemie - gar ganz an Chips, so geraten Wirtschaftskreisläufe ins Stocken, weiß der Halbleiter-Experte Jan-Peter Kleinhans. Er arbeitet für den Berliner Think Tank „Stiftung Neue Verantwortung“.
O-Ton 17 Jan-Peter Kleinhans, Halbleiter-Experte Stiftung Neue Verantwortung
„Egal, ob das der Traktor ist zum Maisernten, oder das Beatmungsgerät in der Intensivstation, oder der Bankautomat, von dem ich mein Geld hole. All das ist ohne Halbleiter nicht denkbar.“
ERZÄHLERIN
Die Chipkrise hat auch die deutsche Wirtschaft bis ins Mark getroffen: Den Bau von Maschinen und Anlagen, sowie die Autoindustrie. In vielen VW-Fabriken ruhte wochenlang die Produktion, weil Mikrochips fehlten. Maschinenbauer mussten trotz voller Auftragsbücher Kurzarbeit anmelden. Die Gründe für den weltweiten Mangel an Mikrochips sind komplex, haben aber viel mit der Pandemie zu tun. Wenn ein Autohersteller einen Chip braucht, bestellt er diesen häufig bei einem Zulieferer. Dieser wiederum kauft bei Halbleiter-Konzernen ein. Doch auch dieses Halbleiter-Unternehmen produziert oft nicht selbst - sondern hat die Herstellung häufig an einen Auftragsfertiger in Asien ausgelagert. Dazu kommt die Chip-Produktion an sich, die an die 1000 Schritte beinhaltet und bis zu drei Monate dauert. Fällt nun – wie bei asiatischen Herstellern geschehen - coronabedingt die Produktion aus, fehlt also plötzlich ein Glied in der Produktionskette, so geht schnell gar nichts mehr.
MUSIK: MACHINE LIKE (C) 0‘40
Doch der Chip-Mangel bei deutschen Auto-Herstellern ist auch hausgemacht. Sie selbst stoppten mit der ersten COVID-Welle das Gros ihrer Bestellungen. Als die Nachfrage wieder anzog, fehlten diese Chips. Halbleiter-Hersteller wie Intel, TSMC oder die Münchner Infineon hatten nicht auf ihre Kunden aus der Autoindustrie gewartet – sondern ihre kleinen Bauteile nunmehr in Richtung IT- und Unterhaltungsindustrie weitergeleitet. Deren Verkäufe boomten, weil immer mehr Menschen immer mehr Streamingdienste und Video-Konferenzen nutzten. Der Mangel an Mikrochips in wichtigen Wirtschaftsbereichen schädigt das Wachstum auf kurze und mittlere Sicht, sagt Jan-Peter Kleinhans.
O-Ton 18 Kleinhans
„Es gibt ja verschiedene Hochrechnungen und Analysen, dass sich die Chipknappheit bereits schon heute auf das Bruttoinlandsprodukt in Europa und zum Beispiel auch in den USA auswirkt. Das ist aber eben in der Tat nur mittelfristig so.“
ERZÄHLERIN
Lösungen seien bereits in Sicht, sagt der Halbleiter-Experte Kleinhans: Langfristige Verträge etwa könnten den Auftragsherstellern von Chips mehr Sicherheit geben – und damit Investitionen sowie die stockende Produktion wieder ankurbeln.
MUSIK: ANOTHER DAY 0‘55
Halbleiter werden mehr denn je zu einer kostbaren Ware, sagt die australische Wissenschaftlerin Genevieve Bell. Und der Mikrochip zu einem Objekt, das die moderne Wirtschaftswelt im Innersten zusammenhält.
O-Ton 19 Bell
Sprecherin Voice Over
Dank leistungsstarker Analyse-Software konnte man etwa in Rekordzeit die genetischen Marker des Corona-Virus bestimmen und die Impfstoff-Entwicklung voranbringen. Doch letztendlich hat uns dieses „Massenexperiment“ der Pandemie auch gelehrt zu unterscheiden zwischen Angelegenheiten, bei denen wir glücklich sind, wenn sie dank Chips digital funktionieren – und zwischen Dingen, die wir schmerzlich vermissen, wenn sie nicht physisch präsent sind.“