Wenn die Eltern alt werden, bekommen sie vielfach Unterstützung von ihren Kindern. Die kümmern und sorgen sich. Doch oft lassen sich die alten Eltern nichts von ihnen sagen. Ein schwieriger Rollentausch, der viel mit Loyalität und Fürsorge, aber auch mit und Wut und Überforderung zu tun hat. Autorin: Karin Lamsfuß
Credits
Autorin dieser Folge: Karin Lamsfuß
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Hemma Michel, Sebastian Fischer
Technik:
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Anne Otto, Dipl. Psychologin und Autorin;
Dr. Susanne Zank, Professorin für rehabilitationswissenschaftliche Gerontologie;
Dr. Katja Werheid, Professorin für Neuropsychologie;
Katrin und Barbara, Mutter und kümmernde Tochter,
Johanna, Tochter einer demenzkranken Mutter.
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
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Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört.
ZUM PODCAST
Linktipps:
Studie von Susanne Zank zur Lebenssituation Hochaltriger: HIER
Literatur:
Anne Otto: Für immer Kind, Wie unsere Beziehung zu den Eltern erwachsen wird, Edition Körber, 2022
Katja Werheid: Nicht mehr wie immer. Wie wir unsere alten Eltern begleiten können. Piper 2020
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
O-Ton 1 Gespräch zwischen Mutter und Tochter (0‘51“)
Katrin: Jetzt wohnst du hier im Erdgeschoss in nem Mietshaus, und es ist auch schon mal eingebrochen worden, und vor Jahren… hast du dir so ein doppeltes Schloss machen lassen, und wenn ich mal komme und es ist hier keiner, und dieses wunderbar angebrachte Schloss ist überhaupt nicht abgeschlossen, dann denke ich mir so ‚geht’s noch? Kannst du das mal bitte abschließen?‘
Barbara: Also bei mir ist noch nie eingebrochen worden und bei mir ist auch noch nie was geklaut worden, ich denke, das muss erst mal passieren, bis ich das einsehe, dass ich mich mehr schützen muss.
Katrin: Und dann find ich halt… was heißt, dass ich ein Recht habe, dir das zu sagen… ich will dir das dann sagen, „du das änderst und deine scheiß Tür abschließt, damit nicht eingebrochen wird!“
Barbara: Jaaaa…. Die ist ganz schön streng mit mir!
Erzählerin:
Eine ganz typische Szene zwischen der 58jährigen Katrin und ihrer 85jährigen Mutter Barbara. Beide wollen nur ihre Vornamen nennen. Mutter Barbara lebt alleine und kommt eigentlich noch gut klar.
Doch immer öfter braucht sie Unterstützung von ihren beiden Töchtern: bei Bankgeschäften, Behördenschreiben, bei Arztbesuchen oder der Bedienung ihres Hörgeräts.
In Musik einbetten
O-Ton 2 Gespräch zwischen Mutter und Tochter (0‘11)
Katrin: Fühlst du dich denn getadelt, wenn ich sage „Zieh mal das Hörgerät an!“?
Barbara: Jooo… Ich denke, ich kann das alleine bestimmen, ob ich das anziehe oder nicht.
Katrin: Denkst du dann, ich bevormunde dich?
Erzählerin:
Katrin kümmert sich gerne. Doch sie hat oft etwas andere Vorstellungen davon, was das Richtige für ihre Mutter ist. Das sorgt manchmal für Konflikte.
Sprecher:
Fast alle erwachsenen Kinder erleben solche oder ähnliche Situationen. Es passiert schleichend. Irgendwann zwischen 40 und 60. Lange Zeit war die Beziehung zwischen ihnen und den Eltern auf Augenhöhe. Und plötzlich verändert sich etwas: Die alten Eltern benötigen Unterstützung.
O-Ton 3 Anne Otto (0‘24“):
Ich hab das ja selbst in meinem Freundeskreis festgestellt, dass immer mehr Leute von ihren ganz alten Eltern erzählen und sind selbst schon so um die 50, 60 und kümmern sich jetzt um 80-, 90jährige, andererseits bedeutet das, dass man dieser Beziehung auch immer eine neue Form geben muss und sich wahrscheinlich auch immer neu abgrenzen – einfach bewusster.
Erzählerin:
Sagt die Psychologin Anne Otto. Für ihr Buch „Für immer Kind – Wie unsere Beziehung zu den Eltern erwachsen wird“ – hat sie erwachsene Kinder interviewt, die sich um ihre alten Eltern kümmern.
O-Ton 4 Anne Otto (0‘13“):
Das gab es so früher nicht, eine Zahl, die kommt aus ner Studie von Hans Bertram, einem Sozialwissenschaftler, der halt sagte: Vor 100 Jahren hatten Väter und Kinder nur 15 gemeinsame Jahre! 15 bis 20. Heute sind das 60!
Sprecher:
Viele träumen von der Vorstellung, wo die Alten - intergiert in die Familie - liebevoll bis zum Schluss versorgt werden. Und die Kinder den Eltern von Herzen das zurückgeben, was sie selbst einmal bekommen haben. Das gibt es nach wie vor. Doch die meisten tun sich schwer mit dem Rollentausch.
Diese neue, oft lange gemeinsame Lebensphase zu gestalten ist für viele eine große Herausforderung. Vor allem ab dem Moment, wo die Eltern Hilfe brauchen. Anfangs sind es meist nur Dinge des Alltags wie Einkaufen, Behördengänge oder Bankgeschäfte. Später vielleicht auch Beantragen einer Pflegestufe. Oder Unterstützung bei der Körperpflege. Die alten Eltern müssen ihre erwachsenen Kinder zunehmend um Hilfe bitten und geraten in eine abhängige Rolle. Nicht ganz einfach.
Erzählerin:
Auch die 85jährige Barbara bemerkt die Rollenumkehr: Obwohl sie sich gut mit ihren beiden Töchtern versteht, ist es ein seltsames Gefühl: Plötzlich ist sie nicht mehr die „Wissende“ die „Erfahrene“, die ihren Kindern die Welt erklärt. Nun braucht sie selbst Hilfe. Nach Jahrzehnten der Autonomie.
O-Ton 5 Barbara (0‘28“):
Ich war ja immer schon alleine, also ohne Mann, und musste immer alles alleine machen und denke: Ich kann alles alleine, und bin froh, dass ich in meinem Alter noch so das kann, was ich so möchte, aber ich sag ja: Ich fühle mich getadelt, und ich hab auch etwas Angst vor Katrin, wenn ich weiß, die kommt: „Hast du auch die Tür zwei Mal abgeschlossen? Hast du auch die Waschmaschinentür aufgelassen?“
Sprecher:
Wenn alte Eltern erkennen, dass sie manches nicht mehr allein können, tut das erst mal weh.
Erzählerin:
Dr. Susanne Zank ist Professorin für Rehabilitationswissenschaftliche Gerontologie an der Uni Köln und hat in einer großen repräsentativen Studie die Lebenssituation der Hochbetagten untersucht, also der Menschen über 80.
O-Ton 6 Susanne Zank (0‘30“):
Da ist offenbar eine sehr, sehr große Angst davor, wahrzunehmen, dass die eigenen Kräfte geschwunden sind, und das kann man nicht mal so eben ablegen. Und wenn ich 70 Jahre lang völlig selbstständig gelebt habe, und das für mich auch ein großer Wert war und ist, autonom zu sein, selbstständig zu sein, und da kommt dann auf einmal dieses blöde Kind – das ist jetzt zwar auch 60 Jahre alt – und will mir erzählen, was ich zu tun und zu lassen habe!
Sprecher:
Wenn die alten Eltern zunehmend hilfsbedürftig werden, lassen sie sich ungern etwas sagen. Von ihren eigenen Kindern oft schon mal gar nicht.
Erzählerin:
Das sorgt für Zündstoff, sagt die Psychotherapeutin und Neuropsychologin Prof. Katja Werheid. Vor allem dann, wenn alte Eltern und kümmernde Kinder kein wirklich liebevolles Verhältnis zueinander haben.
O-Ton 7 Katja Werheid (0‘27“)
Selbst, wenn es Konflikte gibt, selbst wenn die Beziehung nicht so eng ist – trotzdem lässt das Kinder nicht kalt, wenn ihre Eltern gebrechlich werden. Im Gegenteil: Da kommen diese ganzen Fragen von Schuld, warum ich, warum nicht meine Geschwister? Also diese ganzen Geschichten kommen dann wieder hoch; ich bin nicht unbedingt immer dafür, dass man alles geraderaus ansprechen muss.
Musikzäsur
Erzählerin:
Johanna hatte ein konfliktbeladenes Verhältnis zu ihren Eltern. Statt Liebe erfuhr sie Strenge, Druck und Härte. Mit 18 verließ sie ihr Elternhaus, ging ins Ausland und zog in eine andere Stadt, etwa 300 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt.
Der Kontakt zu den Eltern war eher spärlich. Als der Vater starb, besuchte sie alle paar Wochen ihre Mutter. Widerwillig.
O-Ton 8 Johanna (0‘22“):
Da hab ich sehr drunter gelitten, und bin da manches Mal hingefahren und völlig verzweifelt nach Hause gefahren, weil nur Boshaftigkeit war, weil sie sehr in so alten Geschichten auch wühlen konnte, die zwischen uns schief gelaufen sind und ich gedacht hab: ‚oh Gott, diese weiter Fahrt, das viele Geld, was du verfährst – das um dich fertig machen zu lassen?‘
O-Ton 9 Anne Otto (0‘13“):
Jetzt ist man ja erwachsen, fühlt sich eigentlich sehr souverän, kommt dann ins Elternhaus und wird dann mit alten Sätzen und alten Triggern konfrontiert und ist dann sofort in Gefühlen aus der Kindheit.
Erzählerin:
Nach dem Tod des Vaters veränderte Johannas Mutter ihr Wesen. Kam mit vielem nicht mehr klar. Johanna befürchtete: Demenz.
O-Ton 10 Johanna (0‘29“)
Und habe dann bei einem Psychiater an ihrem Wohnort einen Termin vereinbart, um das mal checken zu lassen, da hat sie sich gebärdet wie eine Wilde: Sie wär doch nicht verrückt! Und hab mit viel Geduld es geschafft, dass sie mit mir dahin gegangen ist, dann saßen wir in der Sprechstunde, es war ein rammelvolles Sprechzimmer, wir mussten Stunden warten, sie stand mehrfach auf und wollte rausrennen, und meckerte: „Das brauch ich nicht! Ich will hier nicht warten!“
Sprecher:
Rollenumkehr. Es gibt einen Punkt, an dem erwachsene Kinder ihre Eltern nicht nur unterstützen und ihnen gleichzeitig ihre Autonomie lassen, sondern in hohem Maße Verantwortung für deren Leben übernehmen. Übernehmen müssen.
Erzählerin:
Johannas 80jährige Mutter, so diagnostizierte der Arzt, sei in einem Stadium fortgeschrittener Demenz.
So machten sich Johanna und ihre Schwester auf die Suche nach einem guten Platz für die Mutter. Hinter deren Rücken.
O-Ton 11 Johanna (0‘20“):
Ich hatte oft das Gefühl, ich hab nicht das Recht in ihr Leben einzugreifen. Man überschreitet Grenzen dessen, was zwischen Eltern und Kindern normal üblich ist. Ich hab viele schlaflose Nächte darüber gehabt, ich hab nicht gewusst: Darf ich das? Soll ich das? Kann ich das? Muss ich das? Es war einfach richtig, richtig schwer.
Erzählerin:
Es fällt leichter, so die Psychologin Anne Otto, wenn Kinder ihren alten Eltern schon in guten Zeiten über die entscheidende Frage gesprochen haben: Was ist, wenn du mal nicht mehr für dich sorgen kannst?
O-Ton 12 Anne Otto (0‘49“):
Und die Tendenz ist dann häufig, es bis zum letzten aufzuschieben, und ich hab ja auch für das Buch mit vielen Familien gesprochen, und es war immer wieder das gleiche Muster: Erst wenn die alten Eltern stürzen oder eine schwierigere Erkrankung da ist, dann wird dieses Thema unheimlich forciert. Auf ne Art ist das auch verständlich, aber ich glaube, dass es gut ist, mit nem bisschen längeren Anlauf… dass man guckt: Wie wollen wir das eigentlich gestalten? Denn irgendwann kommt das, und immer mal wieder dieses Thema aufgreifen: „Wie willst du später wohnen? Möchtest du mal in die Stadt ziehen, in der ich bin? Was für ne Art von Pflege?“ und dass man sich da so ein bisschen gemeinsam vortastet.
Erzählerin:
Johanna und ihre Mutter konnten nie darüber sprechen. Vielmehr verhakten sie sich im täglichen Kampf um die Grundversorgung: Haarewaschen, Nägel schneiden, Kühlschrank leerräumen, in dem die Mutter 15 Pakete Wiener Würstchen und sieben Pakete Butter hortete. Vieles schon vergammelt. Die Rollen kehrten sich um.
O-Ton 13 Johanna (0‘06“):
Das hat auch zu unglaublichem Streit geführt, dann schrie sie rum „Ich lass mich nicht entmündigen von dir, hau ab!“
Sprecher:
Respektvoll und fürsorglich mit garstigen, abweisenden, vielleicht auch wütenden alten Eltern umzugehen, kann zur riesengroßen Herausforderung werden.
Erzählerin:
Susanne Zank sagt: Der erste Schritt ist es, anzuerkennen, dass auch das, was den Kindern als absurd und unvernünftig erscheint, in den Augen der Eltern eine Berechtigung hat: Hinter jeder Abwehrreaktion steckt eine tieferliegende Angst.
O-Ton 14 Susanne Zank (0‘18“):
„Man will mich entmündigen!“ Man muss im Einzelfall gucken: Was könnte dahinterstecken? Was ist die konkrete Bedrohung dieser Person vor dem Hintergrund ihrer Biografie? Was ist daran so schrecklich, Hilfestellungen anzunehmen?
Erzählerin:
Dabei sei hilfreich, so die Psychologin Anne Ottto ist es, wenn Kinder zuvor etwas erreicht haben, was man in der Fachsprache „filiale Reife“ nennt.
O-Ton 15 Anne Otto (0‘16“):
Dass man z.B. sagt: Ich will von meinen Eltern nicht mehr kindliche Bedürfnisse befriedigt haben oder ich sehe meine Eltern als ‚ganze‘ Menschen und nicht nur als meine Eltern, da gibt es Konzepte, wie man das lernen kann, in einem anderen Verhältnis zu den Eltern zu stehen.
Sprecher:
Filiale Reife heißt: Von den Eltern nichts mehr erwarten. Ihnen erwachsen begegnen. Akzeptieren, dass vielleicht noch alte Rechnungen offen sind, die niemals mehr beglichen werden. Und sie sehen als das, was sie sind: alte Menschen, die ihr Leben gelebt haben und nun vielleicht hilfsbedürftig sind.
Erzählerin:
Wenn die Eltern mit Wut und Abwehr reagieren, hilft es, etwas Grundlegendes zu verstehen, so Susanne Zank, Professorin für Rehabilitationswissenschaftliche Gerontologie: Die heute 80jährigen sind Kriegskinder. Und in diesen Biografien gibt es Gemeinsamkeiten:
O-Ton 16 Susanne Zank (0‘29“):
Dass sie sehr schnell sehr selbstständig werden mussten keine Schwäche zeigen, nicht hilfsbedürftig sein, sondern im Gegenteil: Zu einer Zeit, wo sie vielleicht selbst hilfsbedürftig waren, durften sie es nicht sein, Wenn Sie in ihrem ureigensten Kern das Gefühl haben ‚Ich muss besonders stark sein!‘, dann fällt es Ihnen auch sehr, sehr schwer, überhaupt wahrzunehmen, dass Sie jetzt weitere Unterstützung brauchen.
Sprecher:
Eltern, die nur schwer Hilfe annehmen können und Kinder, die sich verantwortlich fühlen. Manchmal über-verantwortlich. Ein Konflikt, der oft schwer auszuhalten ist.
Musikzäsur
Erzählerin:
Vor einiger Zeit hatte sich Katrin große Sorgen um ihre Mutter gemacht, die für viele Wochen im Krankenhaus war. Nach einer großen Operation war sie anfangs sehr geschwächt und wackelig auf den Beinen. Katrin hatte Sorgen, dass die Mutter stürzt.
In Musik einbetten
O-Ton 17a Gespräch zwischen Mutter und Tochter (0‘23“)
Katrin: 31‘30“ Du hast ein Riesen Theater gemacht! „Ich geh doch nicht mit dem Rollator über die Straße! Bist du irre? Brauch ich nicht!“ geht weiter, Überhang O-Ton zum Unterlegen
Erzählerin darüber:
Und während Katrin argumentiert, dass der Rollator ein tolles Hilfsmittel ist, verzieht Mutter Barbara nur angewidert den Mund. Ihre größte Sorge:
O-Ton 17b Gespräch zwischen Mutter und Tochter (0‘08“)
wieder hochziehen:
Barbara: Dass ich hier ziemlich bekannt bin und dass dann alle Leute sehen „Guck mal, die Barbara, die geht jetzt auch am Rollator! Ist die so alt geworden?
Sprecher:
Brille, Hörgerät, Rollator, vielleicht auch irgendwann Inkontinenzeinlagen. Das sind nicht nur sinnvolle Hilfsmittel, sondern auch Symbole. Symbole fürs Älterwerden, für den Verlust von Fähigkeiten, für schmerzhafte Abschiede von dem, was ein Leben lang selbstverständlich war.
Erzählerin:
Für Barbara spricht der Rollator seine ganz eigene Sprache:
O-Ton 18 Mutter und Tochter (0‘07“)
Barbara: Dass man nicht mehr alleine gehen kann.
Katrin: Und dass man ein tolles Hilfsmittel hat?!
Barbara: Man kann so viel nicht mehr, wenn man älter wird!
Erzählerin:
Alt zu werden ist für viele Menschen eine ganz große Herausforderung, weiß Susanne Zank:
O-Ton 19 Susanne Zank:
Das ist ne massive Kränkung. Man muss sich damit arrangieren, dass Verluste häufiger werden, diese körperlichen Verluste, aber natürlich auch soziale Verluste, und insofern sind die meisten alten Menschen eigentlich sehr gut darin, sich zu adaptieren. Aber nicht von heute auf morgen!
Sprecher:
An dem Punkt entsteht ein großes Spannungsfeld, das für die erwachsenen Kinder nur schwer auszuhalten ist: Natürlich haben sie nicht das Recht, ihren Eltern Hilfsmittel vorzuschreiben oder riskantes Verhalten zu verbieten. Gleichzeitig haben Kinder ein berechtigtes Interesse, dass die Eltern so lange wie möglich gesund und selbstständig bleiben. Denn wer wird sich im Pflegefall kümmern? Die erwachsenen Kinder natürlich. Die aber sind oft schon am Limit: gehen Vollzeit arbeiten, haben eine eigene Familie und sind zudem in einem Alter, in dem sich oft erste gesundheitliche Baustellen zeigen. Die Energie schwindet. Das Kümmern um die eigenen Eltern wird zum Kraftakt.
Musikzäsur
Sprecher:
Wie spricht man diese Dinge am besten mit den alten Eltern an? So dass sie nicht in Trotz und Abwehr verfallen und sich bevormundet fühlen?
Erzählerin:
Die Neuropsychologin Katja Werheid sagt: Es ist sinnvoll, nicht in der Situation zu streiten, sondern in einem ruhigen Moment konkrete Erlebnisse anzusprechen.
O-Ton 20 Katja Werheid (0‘38“):
Zu sagen: „Ich mach mir Sorgen!“ Also ich mach mir Sorgen, nicht du musst was ändern. Ich weiß nicht: Ist das jetzt noch sicher, und wenn ich jetzt so weit entfernt wohne, oder wenn du hier allein unterwegs bist, fühlst du dich dann noch sicher? Vielleicht hast du ja auch einen anderen Vorschlag.“ Vielleicht ist es nicht der Rollator, sondern erst mal der Stock oder der Handlauf, der montiert werden muss… also im Gespräch bleiben, das ist das, was wichtig ist, nicht so im Tiefflug reingeschneit kommen, schnell mal Ratschläge an alle verteilen und dann wieder abziehen, und die Eltern dann völlig entkräftet da sitzen und denken: Naja, jetzt hat er oder sie es uns mal wieder gegeben!
Erzählerin:
Geduldig, langsam, gegebenenfalls auch mehrfach ansprechen. Mal führt das zum Erfolg, gibt Katja Werheid zu, mal nicht.
Musikzäsur
Sprecher:
Das Thema „Autofahren“ ist vielleicht das brisanteste unter den Eltern-Kind-Themen. Jedenfalls sorgt es für maximalen Zündstoff. Denn da geht es nicht nur um die eigene Unversehrtheit, sondern auch um die anderer Menschen.
Musik, dann darüber:
O-Ton 21 Gespräch zwischen Mutter und Tochter (0‘29“)
Katrin: Autofahren ist ein sehr schwieriges Thema.
Barbara. Warum?
Katrin: Dass ich finde, dass du schlimm Auto fährst, das weißt du ja.
Barbara: Das kann ich überhaupt nicht akzeptieren. Ich bin die beste Autofahrerin der Welt.
Katrin: Ein Blick rechts über die Schulter - kommt da ein Fahrrad oder nicht? machst du nie.
Barbara: Doch!
Katrin: Ich wundere mich total, dass du noch nie einen Fahrradfahrer totgefahren hast,
Barbara: Ich gucke immer nach rechts! Ich gucke überhaupt überall hin! Ich bin sehr aufmerksam!
Sprecher:
Autofahren ist vielleicht die letzte Bastion der schwindenden Selbständigkeit. Autofahren bedeutet: Am Leben teilnehmen, Menschen treffen, selbstständig einkaufen gehen, einfach unabhängig sein. Auf dem Land noch mehr als in der Stadt.
[[ O-Ton 22 Barbara (0‘17“):
Da denk ich immer: Hoffentlich passiert mir das nie, dass ich wen umfahre. Aber das weiß ich nicht, ob das ein Grund wäre, den Führerschein abzugeben. Also das Auto ist mir schon sehr wichtig. Und ich bin der Überzeugung, dass ich ne gute Autofahrerin bin.
Erzählerin:
Nach dem Interview wurde Barbara übrigens nachdenklich und hat zum ersten Mal das Thema ‚Autofahren‘ hinterfragt. Ganz vorsichtig. Das Ergebnis steht noch aus.]]
Sprecher:
Es ist ein schwieriger Rollentausch, der viel mit Loyalität und Fürsorge, aber auch mit Wut und Überforderung zu tun hat.
Musikzäsur
Erzählerin:
Die Ereignisse bei Johanna und ihrer demenzkranken Mutter überschlugen sich. Die Mutter drehte mehrfach stundenlang die Gasflamme auf und verließ das Haus. Rief immer wieder die Polizei, weil ihr angeblich etwas gestohlen wurde. Verstaute die Socken im Gemüsefach. Nun war klar: Sie konnte nicht mehr alleine wohnen. Johanna hatte sich bereits hinter dem Rücken der Mutter nach einem Platz für betreutes Wohnen umgeschaut.
O-Ton 23 Johanna (0‘28“):
Da hat sie erst mal genickt. Es war auch ne gewisse Erleichterung spürbar, die auch einen Moment angehalten hat. Am nächsten Morgen gab’s ein riesen Theater: Sie ginge da nicht hin, und sie käme prima zurecht, alles wäre ja sauber und ordentlich, und dann hab ich gesagt „Mama, das stimmt alles, es ist sauber und ordentlich, wir gucken es uns einfach mal an.“ Und sie war eigentlich ganz angetan. Es hatte so ein bisschen den Eindruck eines netten Hotels.
Erzählerin:
Die Mutter war einverstanden, der Vertrag wurde unterschrieben. Es kam der Tag des Umzugs.
O-Ton 24 Johanna (0‘33“):
Das ging noch relativ gut. Dann hat sie ein oder zwei Nächte dort verbracht, und dann haben wir die Wohnung räumen lassen, und plötzlich stand sie in ihrer alten Wohnung. Sie hatte offenbar noch einen Schlüssel und rastete so völlig aus: Wir hätten sie gegen ihren Willen in ein anderes Zuhause gebracht, und sie käme jetzt zurück, sie hätte das schon alles organisiert und sie schrie und brüllte, wir wären gegen die verbündet, wir wollten sie abschieben… also es war wirklich schrecklich.
Kurzer Musikakzent
O-Ton 25 Johanna (0‘31“):
Ich hatte auch mit den Tränen zu kämpfen, und ich hatte von dem Psychiater eine Tablette, ich weiß nicht mehr, was das war, er sagt: Die wirkt ganz schnell, dann kommt die runter. Dann haben wir sie alleine gelassen und sind ein paar Mal um den Block gegangen, und wir kamen zurück und sie saß ganz friedlich am Küchentisch, und völlig willenlos ließ sie sich dann zurück transportieren, meine Schwester ist bei ihr geblieben, ich hab dann weiter räumen lassen, und wir haben dann den Schlüssel einfach weggenommen.
Erzählerin:
Johanna musste ihre eigene Mutter bevormunden, Entscheidungen für sie treffen, zeitweise sogar gegen deren Willen. So wie die Mutter es früher getan hat, als Johanna klein war. Dieser Rollentausch fühlte sich einerseits richtig an und andererseits verkehrt.
O-Ton 26 Johanna (0‘34“):
Ganz schwierig war für mich in der ganzen Phase mit meiner Mutter, dass ich nicht das Recht hatte, sie zu manipulieren, sie zu hintergehen, also hinter ihrem Rücken ein anderes Zuhause zu suchen, nicht ehrlich mit ihr umzugehen, gleichzeitig wuchs in mir auch so ein Gefühl von Pflicht, ich hab die Pflicht, für sie zu entscheiden, wenn sie es nicht mehr kann, und diese widerstrebenden Gefühle auszuhalten, war oft total schwer.
Erzählerin:
Die Neuropsychologin Katja Werheid sagt: Auch die Eltern kommen mit diesem Rollentausch aus einem weiteren Grund nicht gut klar:
Denn für sie bleibt auch das erwachsene Kind – von dem sie zunehmend abhängiger werden - immer ein bisschen Kind. Das Kind, das sie einst versorgt haben.
O-Ton 27 Katja Werheid (0‘13“):
Und das sind auch sehr, sehr einprägsame Erlebnisse, die einem, selbst wenn man stark demenzkrank ist, immer noch präsent sind, wie man sein Kleinkind, sein Baby damals im Arm gehalten hat, das vergisst man nicht.
Musikzäsur
Sprecher:
Generell ist es für erwachsene Kinder eine große Herausforderung zu einem tieferen Verständnis für ihre alten Eltern zu kommen: die einst als Kriegskinder geboren wurden und viel zu früh viel zu selbstständig waren. Für die Hilfe annehmen viel mit Schwäche zu tun hat.
Die den Schmerz der vielen Verluste im Alter tragen. Deren Radius immer weiter schrumpft. Und die vielleicht irgendwann mal völlig hilflos werden.
Und gleichzeitig gilt es für die erwachsenen Kinder zu begreifen, dass sie von den alten Eltern nichts mehr erwarten können und vieles für immer ungelöst und ungeklärt bleiben wird.
Erzählerin:
Johannas Mutter gefiel es gut im betreuten Wohnen. Trotzdem baute sie in kurzer Zeit ab. Die Demenz schritt voran. Nach eineinhalb Jahren starb die Mutter an einem Herzinfarkt. Johanna hatte schon lange vorher ihren Frieden mit der Mutter geschlossen:
O-Ton 28 Johanna (0‘24“):
Wenn ich an sie denke, denke ich nicht als strafende Mutter an sie, sondern als alte Frau, mit der ich auch manchmal noch lachen konnte und echten Spaß haben konnte und die mir gut war und der ich gut sein konnte. Und wo ne tiefe Liebe da war, die nicht mehr so nach Erwiderung gesucht hat. Und das hat mich dann auch den Tod von ihr, der dann ja sehr plötzlich kam, sehr gut überwinden lassen.
En liten tjänst av I'm With Friends. Finns även på engelska.