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Romantik - Zwischen Schwärmerei und Freiheitsstreben

22 min • 30 januari 2024

Angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche verlieren die Romantiker den Glauben an die nüchterne Vernunft und stellen ihr das Gefühl entgegen: Sie schwärmen für die Natur, feiern die Dunkelheit und ergründen mystische Welten. Autorin: Hanna Dragon (BR 2019)

Credits
Autor/in dieser Folge: Hanna Dragon
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Katja Bürkle, Wolfgang Pregler
Technik: Robin Auld
Redaktion: Andrea Bräu

Im Interview:
Christian Begemann (Professor; LMU)

Linktipp:

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK

SPRECHERIN

Die thüringer Universitätsstadt Jena im Jahr 1799. Im Haus des 32-jährigen Sprachforscher August Wilhelm Schlegel versammeln sich junge, aufbegehrende Intellektuelle. Und bilden eine Art Wohngemeinschaft.  

Unter ihnen: Augusts jüngerer Bruder Friedrich, Altphilologe. Dann: Der Naturphilosoph Friedrich Wilhelm Schelling, verliebt in Caroline, die gebildete Gattin des Gastgebers. Der 22-jährige, streng gläubige Medizinstudent und Dichter Clemens Brentano, der für die acht Jahre ältere Schriftstellerin Sophie Mereau schwärmt. Der charismatische Bergbaustudent Friedrich von Hardenberg alias Novalis, 27, dem Goethe das Zeug zum „geistigen Imperator“ bescheinigt. Und der Sprachkünstler Ludwig Tieck, der 30 Jahre später an August Wilhelm Schlegel schreiben wird: 

MUSIK ENDET

ZITATOR

Jene schöne Zeit in Jena ist (…) eine der glänzendsten und heitersten Perioden meines Lebens. Du und Dein Bruder Friedrich, Schelling mit uns, wir alle jung und aufstrebend, Novalis-Hardenberg, der oft zu uns herüber kam: diese Geister bildeten ununterbrochen ein Fest von Witz, Laune und Philosophie.

SPRECHERIN 

Die Jenaer Freunde philosophieren miteinander beim Mittagessen, kultivieren gemeinsame Spaziergänge durch die Natur, tragen einander ihre unveröffentlichten Texte vor, besprechen die Artikel, die sie für die programmatische Zeitschrift „Athenäum“ schreiben, hinterfragen die traditionelle Rolle der Frau. Und verspotten die Verse des an der Jenaer Universität lehrenden Dichterfürsten Schiller, der sie vor dem „unendlichen Fall in bodenlose Tiefe“ warnt. 

MUSIK

Die Romantiker lassen ihrer Phantasie freien Lauf in einer Zeit der politischen Umstürze. Die Revolution in Frankreich hatten die deutschen Intellektuellen anfangs noch als Durchbruch der Freiheit gefeiert. Doch die Erhebung des Volkes schlug um in Gewaltexzesse. Seit der Machtübernahme Napoleons herrscht in Europa Krieg. Aus Sicht der Romantiker habe die Vernunft, das grundlegende Prinzip der Revolution, den Kontinent in den Abgrund geführt. 

SPRECHERIN 

Auch gesellschaftliche Umbrüche prägen die Zeit um 1800. Die allmählich einsetzende Industrialisierung fördert Landflucht, Verstädterung und soziale Missstände. Die Romantiker bezweifeln, dass der Fortschritt immer das Bessere mit sich bringe. Und kritisieren die Gesellschaft, in der sich alles zunehmend ums Geld dreht.  

MUSIK endet

Romantik: Was bedeutete dieser Begriff damals? Christian Begemann vom Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Ludwigs-Maximilian-Universität in München:

ZUSPIELUNG 1:

Im 18. Jahrhundert wird „romantisch“ im Sinne von „romanhaft“  verstanden. Und das ist kein Kompliment. Denn der Roman hat ein ganz schlechtes Ansehen. 

Er ist, wenn man an den Barockroman denkt, eine Abfolge von kuriosen Ereignissen und Geschichten. Und der Begriff des Romantischen, der ist erstmal auf das Abenteuerliche hin ausgerichtet und ändert sich dann erst im Zuge der romantischen Bewegung selber. (0:29)

MUSIK

ZITATOR

Die Welt muss romantisiert werden. 

SPRECHERIN

Fordert Novalis, der Erfinder der berühmten „blauen Blume“, dem Symbol der romantischen Sehnsucht. Und liefert die vielleicht schönste Definition der Romantik:

ZITATOR

Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es. 

MUSIK ENDET

SPRECHERIN

Die Romantiker sehnen sich nach dem Geheimnisvollen, Unerklärlichen. Denn: Die Aufklärung hat viele Mythen entzaubert. Germanistikprofessor Christian Begemann:

ZUSPIELUNG 2:

Mit der Aufklärung, überhaupt mit dem ganzen Schub der Verwissenschaftlichung in der Neuzeit - so sehen es jedenfalls die Romantiker - tritt eine Trennung von der Natur ein. Die Natur wird unterworfen, sie wird ausgebeutet, sie wird auch in der 

Wissenschaft beobachtet oder im Experiment dazu gezwungen, uns wie ein Angeklagter auf der Folter Antwort zu erstatten, und damit ist die Natur nichts mehr, was uns auf Augenhöhe gegenübersteht, sondern sie ist nur noch ein Objekt 

MUSIK

SPRECHERIN

Die Romantiker wollen die mythische Einheit des Menschen mit der Natur wiederherstellen. Durch Poesie. Josef von Eichdorff:  Die Wünschelrute.

ZITATOR

Schläft ein Lied in allen Dingen 

Die da träumen fort und fort, 

Und die Welt hebt an zu singen, 

Triffst du nur das Zauberwort.

SPRECHERIN

Das dichterische Zauberwort „romantisiert“ die Welt. 

MUSIK endet

Dieser Vorstellung folgend bringt Friedrich Schlegel, der theoretische Kopf des Jenaer Kreises, das Programm der Romantik auf den Punkt. In dem berühmten 116. Athenäums-Fragment heißt es:

ZITATOR

Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. 

SPRECHERIN

Mit „progressiv“ meint der Theoretiker Schlegel: Der mythische Zustand der Harmonie, das Absolute, lässt sich mit Worten nicht erfassen. Der Dichter kann sich diesem Ziel nur „progressiv“, also Schritt für Schritt nähern. Das Werk wird somit nie vollendet; das Fragment wird zu einer neuen literarischen Gattung.  

Den Begriff „Universalpoesie“ erklärt Schlegel folgendermaßen:

ZITATOR

Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen. 

SPRECHERIN

In romantischen Romanen und Erzählungen werden Gedichte vorgetragen, Lieder gesungen und Bilder beschrieben: Eine Vorwegnahme des Wagnerschen Gesamtkunstwerks, das alle Künste vereinigt. Die „progressive Universalpoesie“ soll nach Schlegel das ganze Leben durchdringen: Das Leben wird zum Kunstevent.

MUSIK

SPRECHERIN

Der Heidelberger Dichter Joseph von Eichendorff verwirklicht diese Vorstellung in seiner Märchennovelle „Aus dem Leben eines Taugenichts.“  

ZITATOR

Fahre zu, Ich mag nicht fragen, Wo die Fahrt zu Ende geht.

SPRECHERIN

Das ist das Lebensmotto des jungen Müllerssohns, den das Klappern des Mühlrades an das trostlose Einerlei des bürgerlichen Alltags erinnert. Er folgt seiner Sehnsucht, und zieht in die Ferne. Wandern: Ein typisches Motiv der Romantik, das die Sehnsucht nach dem Absoluten versinnbildlicht. 

Der Taugenichts - ein Abbild des mittelalterlichen fahrenden Gesellen - spielt Geige und überlässt sich diversen Genüssen und Liebeleien. Eine Zeit lang wird er sesshaft als Zolleinnehmer, sitzt da…

ZITATOR

im prächtigen roten Schlafrock mit gelben Punkten, 

SPRECHERIN

und raucht seine Pfeife. Er will finanziell für seine Zukunft vorsorgen: Ein Gedanke, den er schnell wieder verwirft. 

ZITATOR

Die Kartoffeln, und anderes Gemüse, das ich in meinem kleinen Gärtchen fand, warf ich hinaus und bebaute es ganz mit den auserlesensten Blumen. 

SPRECHERIN

Und dann macht er sich wieder auf den Weg.  

ZUSPIELUNG 3:

Man könnte sagen, das ist fast eine Künstlererzählung, nur, dass der Taugenichts eben gar kein Künstler ist. Das heißt: alles wird ihm zur Kunst. Das Leben selber wird ihm zur Kunst. Er ist die poetische Existenz, die man realisieren will. (0:14) 

SPRECHERIN

Der Taugenichts heiratet am Ende seine große Liebe und bekommt obendrauf ein Schloss geschenkt.  

ZITATOR

(…) und von fern schallte immerfort Musik herüber, und Leuchkugeln flogen vom Schloß durch die stille Nacht über die Gärten (…) - und es war alles, alles gut!

SPRECHERIN

Dass ideale Traumwelten und Realität auseinanderklaffen ist den Romantikern bewusst. Um das deutlich zu machen, greifen sie auf eine weitere Erfindung Schlegels zurück: Die romantische Ironie, die alles Gesagte in einem Schwebezustand belässt. Professor Begemann:

ZUSPIELUNG 4:

Die romantische Ironie ist das, was das Gesagte immer  relativiert und  zurücknimmt. Und immer deutlich macht: „Also, nehmt es nicht wörtlich!“ (0:11)   

SPRECHERIN

Ludwig Tieck ist ein Meister der romantischen Ironie. Er bringt das Spiel im Spiel auf die Bühne. In dem Stück „Der gestiefelte Kater“, in dem er den Theatergeschmack der Berliner Bildungsbürger aufs Korn nimmt, verschachtelt er mehrere Spielebenen ineinander: Die auf der Bühne von Schauspieler dargestellten, sich selbst als aufgeklärt bezeichnenden Zuschauer, lehnen das bevorstehenden Stück über eine Märchenfigur ab. Als sie ungehalten werden, muss sich der Autor, ebenfalls eine Figur im Stück, vor ihnen rechtfertigen.

ZITATOR

Ich wollte einen Versuch machen, durch Laune, wenn sie mir gelungen ist, (…) durch wirkliche Possen zu belustigen, da uns unsere neuen Stücke so selten zum Lachen Gelegenheit geben. 

SPRECHERIN

Der Autor ist permanent gezwungen, auf die Wünsche des Publikums einzugehen, dem eine „vernünftige Illusion“ fehlt.  Die Schauspieler fallen stets aus ihren Rollen und kommentieren die misslingende Aufführung. Was gehört nun zum Stück? Was ist Wirklichkeit? Wilhelm Tieck setzt hier das um, was Schlegel in der Theorie einfordert: Im Sinne der „Universalpoesie“ reflektiert die Literatur sich selbst. 

Und präsentiert sich augenzwinkernd als „nur Literatur“: Der Autor erhebt sich über sein Werk.  

SPRECHERIN

Die Romantiker gehen sehr ironisch mit der Kunst um. Die gleichzeitig einen sehr hohen sakralen Stellenwert einnimmt. Denn: Seit der Aufklärung und der Säkularisierung der Gesellschaft bietet der christliche Glaube nicht mehr ausreichend Halt.  

ZUSPIELUNG 5:

Wenn man zum Beispiel  an die Bilder von Caspar David Friedrich denkt, die Kirchenruinen, das ist auch der Zustand des Glaubens, der Zustand des Christentums, das ist eigentlich ruiniert. Und die Romantiker versuchen, dagegen wieder etwas, wie einen neuen Glauben, eine neue Mythologie zu setzen. (0:19) 

SPRECHERIN

Und sie erheben die Kunst zur Religion. Josef von Eichendorff über die Rolle des Dichters:

ZITATOR

Ihm ist's verlieh‘n, aus den verworrnen Tagen, 

Die um die andern sich wie Kerker dichten, 

Zum blauen Himmel sich emporzurichten, 

In Freudigkeit: Hier bin ich, Herr! zu sagen. 

ZUSPIELUNG 6:

Der Dichter wird enorm überhöht gegenüber den Wissenschaftlern, vor allem den Philistern, also  den Normalbürgern, die allein um ihren Lebensunterhalt herum kreisen, oder die rationalistisch an die Wirklichkeit herangehen, die auf die Ökonomie ausgerichtet sind. Und der Dichter ist der Einzige, der noch eine 

Ahnung davon hat, worum es eigentlich geht. Deswegen hat er einen besonderen  Zugang zu tieferen Quellen des Wissens und der Weisheit und stilisiert sich dann gerne als Seher und Prophet (0:34) 

MUSIK

ZITATOR

Wo keine Götter sind, walten die Gespenster. 

SPRECHERIN

Sagt Novalis. In den „Hymnen an die Nacht“, dem Inbegriff der todesverliebten, mystischen Romantik, arbeitet er ein persönliches, spirituelles Erlebnis auf. Die künstlerische Umsetzung verleiht ihm nach dem Tod seiner jungen Geliebten, der er kraft seines Willens „nachsterben“ wollte, einen neuen Lebensantrieb.

ZITATOR

Einst, da ich bitt‘re Tränen vergoß, da in Schmerz aufgelöst meine Hoffnung zerrann, und ich einsam stand am dürren Hügel (…)  

SPRECHERIN

In der dritten Hymne steht das lyrische Ich, eingehüllt in die Dunkelheit der Nacht, am Grab der Geliebten und betrauert ihren Tod. Friedhof, Grab, Einsamkeit und Liebesleid: Typisch Romantik.  

Die schmerzhafte Erfahrung wendet sich ins Positive, als sich das lyrische Ich seinen eigenen Tod,

ZITATOR

den Schlummer des Himmels, 

SPRECHERIN

imaginiert, und sich in der Vorstellung des Losgelöstseins vom Irdischen mit seiner Geliebten vereinigt. 

ZITATOR

An ihrem Halse weint‘ ich dem neuen Leben entzückende Tränen. 

SPRECHERIN

Das lyrische Ich gewinnt die Erkenntnis, dass am Ende des irdischen Lebens das ewige Bündnis mit seiner Geliebten stehen wird. 

ZITATOR

… seitdem fühl‘ ich ewigen, unwandelbaren Glauben an den Himmel der Nacht und sein Licht, die Geliebte. 

SPRECHERIN

Die Nacht: Ein zentrales Thema der Romantik. Ihre Dunkelheit steht im Gegensatz zum Licht der Aufklärung. Sie ist ein Projektionsraum unerschöpflicher Phantasien. Josef von Eichendorff: 

ZITATOR

Es war, als hätt‘ der Himmel 

Die Erde still geküßt, 

Daß sie im Blütenschimmer 

Von ihm nun träumen müsst 

Die Luft ging durch die Felder

Die Ähren wogten sacht

Es rauschten leis die Wälder,

so sternklar war die Nacht. 

Und meine Seele spannte 

Weit ihre Flügel aus, 

Flog durch die stillen Lande, 

Als flöge sie nach Haus

MUSIK ENDET

SPRECHERIN

Nach Haus: Also zurück in den mythischen Zustand der Harmonie, das Ziel der romantischen Sehnsucht. Für den grundgläubigen Katholiken Eichendorff ist es die Rückkehr zu Gott. 

Nachdem sich der Jenaer Kreis nach kurzer Zeit zerstreut hat, gehen die Romantiker auf der Suche nach ihren Idealen unterschiedliche Wege. 

Sie konvertieren, wie Wilhelm Schlegel, zum Katholizismus, der traditionellen Form der Religion. Oder: Sie wenden sich der Vergangenheit zu, verklären das Mittelalter, erforschen die germanische Mythologie. Ludwig Tieck bearbeitet den Stoff der Nibelungensage. Clemens Brentano schreibt ein Gedicht über die Lore Lay – die Zauberin, 

ZITATOR

„so schön und feine“, 

SPRECHERIN 

die einer alten Legende nach mit ihrem Gesang Rheinschiffer ins Verderben stürzt.    

ZITATOR

Und brachte viel zu Schanden 

Der Männer rings umher, 

Aus ihren Liebesbanden 

War keine Rettung mehr.

SPRECHERIN

Andere Romantiker werden zu Patrioten. Während Napoleon das Land besetzt hält, suchen sie nach dem, was das deutsche Volk ausmacht. Die Gebrüder Grimm editieren ihre Sammlung von mündlich überlieferten Volksmärchen. 

Achim von Arnim und Clemens Brentano veröffentlichen die volkstümliche Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“. 

ZUSPIELUNG 7: 

Das hängt mit dem Außendruck zusammen, dass man versucht, etwas zu finden, was eine Gemeinsamkeit, ein Band stiftet gegenüber der napoleonischen Fremdherrschaft. Und das Volk wird da eine ein bisschen unbehaglich stimmende, mythisch verklärte Größe (0:19)

ZITATOR

Wir träumen von Reisen durch das Weltall: Ist denn das Weltall nicht in uns?  

SPRECHERIN

Fragt sich Novalis. In der Phase der Spätromantik, also ab etwa 1815, wird der Romantiker zum Seelenergründer. Zum Vorläufer des heutigen Psychoanalikers. Bergwerke, in denen das Innere erschürft wird, werden mit ihrer Symbolkraft zu einem beliebten Motiv.  

Der Jurist E.T.A. Hoffmann lebt in Berlin, wo sich in privaten Salons bürgerlich-adelige Intellektuelle versammeln. Tagsüber spricht er Recht. Danach widmet er sich dem Schreiben seiner schaurigen Geschichten.

MUSIK 

Im „Der Sandmann“ wird die volkstümliche Figur, die Träume schenkt, ins Schreckliche verzerrt: Der Sandmann streut den Kindern Sand in die Augen, damit sie ihnen aus dem Kopf herausspringen. Mit dieser Beute nährt der böse Kobold dann seine Jungen. 

Diese traumatisierende Vorstellung verfolgt den Protagonisten Nathanel sein leben lang. Er bringt sie mit dem Alchemisten, der ihn in seiner Kindheit misshandelt hat, in Verbindung. 

Später glaubt er diesen in der Figur eines Wetterglashändler zu erkennen und steigert sich dadurch immer mehr in eine Paranoia. Auf der Seite der Vernunft, des klaren Verstandes steht Clara, seine Verlobte. Sie hält seine Visionen für innere Bilder, die er nach außen verlegt.

MUSIK ENDET

ZUSPIELUNG 8:

Gespenstisch ist, das wir uns keinen Reim darauf machen können, was hier wirklich geschieht, hat er Recht, gibt es da einen geheimnisvollen Advokaten, Alchemisten, Wetterglashändler der sich sozusagen immer durch sein Leben  hindurchzieht? Oder hat Clara Recht, die sagt, das ist einfach ein Wahnsystem. Wir wissen es nicht. Das ist die Geburtstunde einer bestimmten Gattung der Literatur, nämlich der  phantastischen Literatur, die genau damit  spielen wird, dass wir als Leser nicht wissen: Woran sollen wir uns halten? Und das verwirrt unser Realitätsverständnis ganz erheblich. (0:38)   

SPRECHERIN 

Zu Nathanaels Pathologie gehört, dass er sich in die Automate Olimpia verliebt, künstliche Intelligenz, von Menschenhand erschaffen, wie Mary Shalleys Frankenstein. Eine für diese Epoche typische Auseinandersetzung mit dem mechanistischen Denken des Rationalismus und seinen Folgen. 

„Ach, ach!“ Das ist alles, was Olimpia sagen kann: Ein ideales Gegenüber für den narzistischen Helden. Seine Gedichte, die Clara nicht würdigt, finden offenbar Zuspruch bei seiner neuen Geliebten. Nathanael glaubt, dank seines „poetischen Gemüts“ als einziger ihr wahres Wesen zu erkennen.

ZITATOR  

Sie spricht wenig Worte, das ist wahr; aber diese wenigen Worte erscheinen als echte Hieroglyphe der inneren Welt voll Liebe und hoher Erkenntnis des geistigen Lebens in der Aschauung des ewigen Jenseites. Doch für alles das habt ihr keinen Sinn und alles sind verlorne Worte.

SPRECHERIN

Eine doppelte Kritik: An den Philistern, die keinen Sinn für das Eigentliche haben. Und an dem sich selbst feiernden romantischen Künstler.  

E.T.A. Hoffmann zählt zu den letzten großen Dichtern der Romantik. Während diese Epoche in den 1830er Jahren allmählich verblasst, schreibt Josef von Eichendorff noch seine großen Gedichte. Gleichzeitig treten andere, zum Teil politisch motivierte Strömunge auf - Biedermeier, Junges Deutschland und Vormärz.  Heinrich Heine verfasst die polemische Schrift „Die romantische Schule“. Eine erste zusammenfassende Darstellung der Romantik. Und gleichzeitig: Ihr Verriss.  

ZITATOR

Das Fräulein stand am Meere 

Und seufzte lang und bang, 

Es rührte sie so sehre 

Der Sonnenuntergang. 

Mein Fräulein! sein sie munter, 

Das ist ein altes Stück; 

Hier vorne geht sie unter 

Und kehrt von hinten zurück.

SPRECHERIN

Wie Heine gehen auch andere Romantiker zu sich selber auf Distanz. Zum Beispiel Ludwig Tieck, eine der Gründungsfiguren der Romantik.  

ZUSPIELUNG 9:

Tieck hat in der frühen Erzählung „Der blonde Eckberg“   eine Formel der Romantik geprägt, das Wort „Waldeinsamkeit.“ 

MUSIK

Und das Wort findet sich in gefühlt 150 Texten der Romantik wieder, weil es genau so einen neuralgischen Punkt trifft: Der Wald, die Natur, die Dunkelheit. 

Und in seinen letzten Jahren als Schriftsteller, 1839, publiziert Tieck eine Erzählung, die heißt „Waldeinsamkeit.“ Und das geht davon aus, dass das Wort auf einmal in einer Immobilienanzeige erscheint: Ein schönes Haus mit angrenzender Waldeinsamkeit günstig zu verkaufen. Da ist die Romantik auf die Immobilienanzeige gekommen. 

Das ist der ultimative Verbrauch von einst ganz emphatisch besetzten romantischen Vokabeln, die jetzt einfach sich totgelaufen haben. Die in den  allgemeinen Wortschatz übergegangen sind. (0:58) 

MUSIK endet

Senaste avsnitt

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